Attrappen zur Belustigung

Das Wort ‚Attrappe‘ (in alten Katalogen auch mit der Schreibweise ‚Atrappe‘ oder ‚Attrape‘) stammt vom Französischen ‚attrape‘[i] ab, was man vereinfacht mit ‚Scherzartikel‘ übersetzen könnte. Der Begriff ‚Scherzartikel‘ umschreibt aber nur einen Teil der Funktion einer Attrappe. Sie waren in Deutschland im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch als Geschenke oder Mitbringsel bei Einladungen sehr beliebt. Die Bandbreite, was damals alles zum Bereich ‚Attrappen‘ hinzugezählt wurde, war weit gefasst. In einem Zeitschriftenartikel aus dem Jahr 1873 wird dies deutlich:

Die Fabrikanten von Luxuswaren wetteifern miteinander darin, fortwährend Dinge auf den Markt zu bringen, welche verblüffen, Combinationen, bei welchen man ausrufen muß: wie konnte ein vernünftiger Mensch auf diesen Einfall gerathen! Macht die „Novität“ diesen Effect, dann kann der Fabrikant sich gratulieren, dann wird sie in Mode kommen – für kurze Zeit natürlich, das liegt im Wesen der Mode. Folgerichtig hat bei diesem Treiben die Attrape eine so große Bedeutung erlangt. Ein Stiefel als Trinkgeschirr, ein Strohhut als Butterbüchse, beide Gegenstände so naturgetreu als möglich, damit die Sache nur recht appetitlich wird, eine Jockeymütze als Cigarrenbehälter, Hemdkragen und Manschetten als Schreibzeug und hunderterlei ähnlicher Unsinn gehören zu den classischen Erzeugnissen moderner Industrie; ein Material so zu maskieren, daß man es für ein ganz anderes halten kann, Glas für Porzellan, Porzellan für Holz u.s.w., eine Weberei oder Stickerei so kunstreich auszuführen, daß man sie in einiger Entfernung für einen schlechten Steindruck ansieht, das gilt unzähligen Industriellen als der größte Triumph.“[ii]

Die Attrappen konnten, wie wir gerade gelesen haben, alle möglichen Formen und Größen haben. Hauptsache es waren naturgetreue Nachbildungen von Alltagsgegenständen. Kaufen konnte man Attrappen gefüllt oder leer in Schokoladengeschäften, Konditoreien, Bonbonnieren-Läden, Galanteriewaren-Geschäften, Spezialgeschäften für Attrappen oder auf Märkten.

Die Produzenten waren über das ganze Deutsche Reich verteilt. Um Frankfurt herum wurden zum Beispiel Nüsse in verschiedensten Größen aus Pappe geprägt, ausgestanzt und vergoldet.[iii] Im thüringischen Sonneberg und Umgebung war wiederum das wohl bedeutendste Zentrum für weihnachtlich gestimmte Attrappen. Hier wurden in verschiedensten Formen und Größen Weihnachtsmänner, Belsnickel oder Krampusse als Attrappen für den nationalen wie internationalen Markt produziert. Die gleichen Hersteller fertigten auch für Ostern dekorative Osterhasen als Attrappen an.

Attrappenladen - Illustration aus dem Jahr 1890

Attrappen kamen als Mitbringsel, „Juxgeschenke“[iii], Tischdekorationen, Scherzartikel, bei Bällen, gesellschaftlichen Veranstaltungen oder sonstigen Feiern zum Einsatz. Verwendung fanden sie auch bei kleinen Lotterien, die bei gesellschaftlichen Anlässen damals gerne veranstaltet wurden. Die originellen Attrappen fanden in Deutschland, genauso wie im Ausland, viele Käufer.

Manchem Attrappen-Hersteller gelang es, seine Stücke so lebensecht wirken zu lassen, dass die Öffentlichkeit regelrecht getäuscht wurde. In Österreich wurde 1883 ein Mann von der Polizei verhaftet, weil er eine irritierend echt nachgemachte Dynamitstange in den Händen hielt. Im Gegensatz zum Original enthielt seine Dynamitstange allerdings keinen Sprengstoff, sondern Marzipan.[v] Im Angebot eines Herstellers war auch eine lebensechte schwarze Ratte, deren Beine sich mithilfe eines Zahnradwerkes bewegen konnte. Ihr Innenleben bestand ebenfalls aus Süßigkeiten.[vi]

Die Ratten kann man unten öffnen und befüllen.

Gerne verwendete man damals bei Essenseinladungen unter anderem lebensecht wirkende Tiere aus Pappmache als Tischdekorationen. Bevorzugt wurden vermeintliche Fische und Hummer, um die Gäste zu täuschen. Sie sollten auf einer Platte wie echte Speisen angerichtet und begleitet mit Versen der Gastgeber herumgereicht werden.

Die Tiere können geöffnet und befüllt werden.

Dazu gab es in der Zeitschrift Fürs Haus unter der Überschrift „Scherz bei einem Abendessen“ eine kurze Beschreibung:

Nachdem das erste Gericht herumgereicht ist und die Teller abgenommen sind, wird ein Fisch hereingebracht (eine Attrappe von Papiermaché), der aber ganz so garniert ist wie ein wirklicher Fisch und möglichst natürlich aussehen muss. Der Hausherr klingt ans Glas und spricht […].“[vii]

Es folgten dann von den Gastgebern selbst kreierte, lustig gemeinte Verse. Als Höhepunkt des Scherzes wurde dann die Attrappe geöffnet und die darin versteckten kleinen Gastgeschenke verteilt. Solche ‚dichterischen Scherze‘ waren damals durchaus üblich, für uns heutzutage jedoch befremdlich.

Beispielwerbung aus den Jahren 1911-1912

Neben den etwas größeren Exemplaren gab es auch kleinere Tier-Attrappen, die als Tischdekorationen dienten oder die man mit Geschenken oder kleinen beschriebenen Papierrollen befüllen konnte.

Kleine Attrappen für zusammengerollte Texte und nicht, wie oftmals vermutet, für Süßigkeiten

Da die meisten Attrappen mit kleinen Geschenken, Schokolade oder allgemein mit Süßigkeiten befüllt werden konnten, ist die Nähe zur Bonbonniere nicht zu übersehen. Vor allem im Bereich Miniatur-Attrappen und Bonbonnieren sind die Übergänge fließend. Für den einen Betrachter ist es eine Attrappe, für den anderen eine Bonbonniere.

In Sammlerkreisen werden Attrappen heutzutage meist mit dem Anglizismus ‚Candy-Container‘ bezeichnet. Leider ist dadurch der ursprüngliche Sinn der Attrappe verdrängt worden.

Es folgen noch ein paar Beispiele verschiedener Attrappen, wie man sie damals kaufen und je nach Wunsch befüllen konnte.

[i] Das französische Verb ‚attraper‘ bedeutet so viel wie ertappen, fangen oder erwischen. Das zugrunde liegende Substantiv ist ‚trappe‘, was unter anderem mit Falle übersetzt werden kann. Eine Attrappe war demnach eine Falle, mit der man jemanden hereinlegen kann.

[ii] Illustrierte Zeitung (Leipzig), LXI. Bd., Nr. 1568 (19. Juli 1873), S. 47.

[iii] Im Rhein-Main Gebiet wurden auch Christbaumschmuck aus Watte, Lametta, Glaskugeln und Christbaumspitzen hergestellt. Arndt, Paul: Kurze Beschreibung der Heimarbeit im Rhein-Mainischen Wirtschaftsgebiete (Heimarbeit-Ausstellung zu Frankfurt a. M.), Frankfurt 1908, S. 147.

[iv] So bezeichnet in einer Werbung der Firma Paul Mühlbacher aus Klagenfurt, in: Klagenfurter Zeitung, Jg. 1865, Nr. 290 (20. Dezember).

[v] Österreichische Eisenbahn-Zeitung, VI. Jg. (1883), No. 3 (21. Jänner), S. 34.

[vi] An der schönen blauen Donau, 5. Jg. (1890), Heft 10, S. 236.

[vii] Marie zu Hannover: Scherz bei einem Abendessen; in: Fürs Haus. Praktisches Wochenblatt für alle Hausfrauen, 12 Jg. (1893/94), Nr. 587 (1. Januar 1894), S. 108.