Hexenhäuschen
Was hat das Knusper-, Knabber-‚ Pfefferkuchen-, Lebkuchen- oder auch sogenannte Hexenhäuschen mit Weihnachten zu tun? Die Antwort ist kurz und bündig – ursprünglich nichts. Vermutlich hat die Assoziation mit Lebkuchen und Süßigkeiten in der Winterzeit etwas damit zu tun. In dem von den Gebrüder Grimm erstmals 1812 veröffentlichten Märchen ‚Hänsel und Grethel‘ wird das Hexenhaus wie folgt beschrieben:
„[…] so sahen sie, daß das Häuslein aus Brot gebaut war und mit Kuchen gedeckt; aber die Fenster waren von hellem Zucker. ‚Da wollen wir uns dran machen,‘ sprach Hänsel, ‚und eine gesegnete Mahlzeit halten. Ich will ein Stück vom Dach essen, Grethel, du kannst vom Fenster essen, das schmeckt süß‘.“[i]
Das Märchen war also seit Beginn des 19. Jahrhunderts bekannt, das Hexenhäuschen wurde vermutlich aber erst in den 1880er-Jahren als Weihnachtsdekoration populär. In der damals beliebten Zeitschrift Fürs Haus finden sich in einer Ausgabe von 1884 zwei Anweisungen, wie man ‚Pfefferkuchenhäuschen‘ aus Pappe, Lebkuchen, Zucker, Mandeln, Rosinen, Schokolade, Plätzchen und anderen Süßigkeiten basteln könne. Die Hexe sowie Hänsel und Gretel bestanden dabei aus kleinen Glieder- oder Porzellanpüppchen[ii]. In einer fünf Jahre später erschienenen Ausgabe der Zeitschrift Dies Blatt gehört der Hausfrau! heißt es 1889:
„Da ich annehme, daß manche Leserin die niedlichen Zuckerhäuschen noch nicht kennt, möchte ich an dieser Stelle die Beschreibung eines solchen geben. Vom Papparbeiter läßt man sich aus dünner weißer Pappe ein Häuschen herstellen. In der Rückwand drei Fensterausschnitte, in der Vorderwand 2 Fensterausschnitte und dazwischen eine Thür […]. Die Seitenwände erhalten je ein kleines Fenster, welches hoch angebracht wird. Auf dem Dach darf der Schornstein nicht fehlen. Bei manchem Konditoren kann man Zuckerfiguren: die alte Hexe, Hänsel und Gretel kaufen. Will man das nicht nehmen, so kann man nach Geschmack kleine Zuckertierchen anbringen. In das Häuschen stellt man ein kleines Licht. Ist dieses am Weihnachtsabend angezündet, so ruft das reizende Häuschen nicht nur den Jubel der Kleinen hervor, auch die Erwachsenen werden sich darüber freuen.““[iii]
Das Häuschen wird dann mit Bonbons, Keksen, „selbstgebackenem, bunt glasiertem oder mit buntem Zucker bestreuten Weihnachtsbackwerk“ beklebt. Der Hinweis darauf, dass so manche Leserin das Häuschen noch nicht kennt, verdeutlicht, dass die Idee eines ‚Knusperhäuschens‘ oder ‚Hexenhäuschens‘ erst langsam Verbreitung fand.
Wirklich populär wurde das Bild des ‚Knusperhäuschens‘ durch eine Märchenoper, die am 23. Dezember 1893 erstmals in Weimar am Hoftheater aufgeführt wurde. Das Märchenspiel ‚Hänsel und Gretel‘ von Adelheid Wette (1858–1916) mit der Musik ihres Bruders Engelbert Humperdinck (1854–1921) eroberte im Sturm die deutschen und österreichischen Bühnen. Das Stück war in drei Bilder aufgeteilt: ‚Daheim‘, ‚Im Walde‘ und ‚Das Knusperhäuschen‘. Vor allem die Bühnendekorationen des letzten Bildes war in zahlreichen Zeitungen ausführlich Thema.
In dem erstmals 1901 veröffentlichten Kinderlied ‚Hänsel und Gretel verliefen sich im Wald‘ wird eine Verbindung vom Pfefferkuchenhaus zum Winter geschaffen. Die erste Strophe des Liedes lautet:
„Hänsel und Gretel verliefen sich im Wald.
Es war so finster und auch so bitterkalt.
Sie kamen an ein Häuschen von Pfefferkuchen fein.
Wer mag der Herr wohl von diesem Häuschen sein?“
Im Originalmärchen ist von Winter keine Rede. Die Verbindung ist der Fantasie des Komponisten entsprungen. Der Begriff ‚Pfefferkuchen‘ stammt aus der Vergangenheit, als noch alle fremdländischen Gewürze mit dem Überbegriff ‚Pfeffer‘ bezeichnet wurden. Damals wusste man nur, dass der ‚Pfeffer‘ aus weit entfernten Ländern importiert werden musste, daher war es nur allzu verständlich, wenn alle fremdländischen Gewürze vereinfacht auch als ‚Pfeffer‘ umschrieben wurden. Die Redensart, wenn man jemanden loswerden will ‚Geh doch dahin, wo der Pfeffer wächst‘ hat hier auch seinen Ursprung.
Das Pfefferkuchenhaus lautet in anderen Beschreibungen auch Lebkuchenhaus. Nebenbei bemerkt, hat der Begriff Lebkuchen nichts mit Leben oder dem alten Begriff Laben zu tun. Lebkuchen kommt vom lateinischen ‚libum‘ und bedeutet so viel wie Flachkuchen oder Fladen. Da der Lebkuchen sehr lange haltbar ist, wird er bis heute vor allem im Winter als Gebäck verzehrt. Die Verbindung von Lebkuchen, Süßigkeiten und der Winterzeit machten daraus die perfekte Weihnachtsdekoration neben dem Weihnachtsbaum. Auf zahlreichen historischen Fotos von Weihnachtsbäumen kann man es als Nebendekoration entdecken.
Das Hexenhäuschen gibt es in verschiedensten Varianten als weihnachtliche Dekoration. Es gibt zum Beispiel Adventskalender, Blechdosen für und unter den Weihnachtsbaum, Hexenhäuschen als Ständer für Gansfederbäume oder als Engelsgeläut, als geblasenen Glasschmuck, als Wunschzettel oder in verschiedensten Varianten farbiger Oblaten.
[i] (Grimm, Gebrüder): Kinder und Hausmärchen gesammelt durch die Brüder Grimm, 7. Aufl., Göttingen 1857, S. 83.
[ii] Leserbriefe zum Thema: Das Pfefferkuchenhäuschen, in: Fürs Haus. Praktisches Wochenblatt für alle Hausfrauen, 3. Jg. (1884/85), Nr. 116, S. 96.
[iii] Ein Knusperhäuschen, in: Dies Blatt gehört der Hausfrau! Zeitschrift für die Angelegenheiten des Haushaltes. IV. Jg. (1889/90), Nr. 10, S. 154; Eine Anleitung wie man ein ‚Knabberhäuschen‘ selbst machen kann, findet sich in: Fürs Haus. Praktisches Wochenblatt für alle Hausfrauen, Nr. 377 (21. Dezember 1889), VIII. Jg. (1889/90), S. 92 f.; Ein Backrezept für ein ‚Knusperhäuschen‘ findet sich unter anderem in: (Anonym): Knusperhäuschen, in: Mode und Haus. Illustriertes Universalblatt für die Familie, X. Jg. (1894), S. 192c.