Jul-Kugeln aus Lauscha

Die Jul-Kugeln, deren Darstellungen mit Runen und mythologischen Symbolen uns heute in der Regel kaum noch vertraut sind, gehören zu den sichtbarsten Hinterlassenschaften, wenn es um Christbaumschmuck aus der NS-Zeit geht. Sie werden auf Auktionen, Flohmärkten oder bei Ebay immer wieder angeboten.

Die Geschichte dahinter sei kurz erklärt. Die Nationalsozialisten bezeichneten bis 1938 Weihnachten als Fest praktischer nationalsozialistischer Nächstenliebe, ohne dass dies bei den Deutschen einen nachhaltigen propagandistischen Erfolg gehabt hätte. Gleichzeitig versuchten interessierte Laien und germanophile Gruppen innerhalb der NSDAP christliche Traditionen durch pseudogermanische Weihnachtsbräuche zu ersetzen. Schon vor der Machtergreifung hatte sich in der NSDAP das Zelebrieren der Sonnenwendfeiern (am 21. Juni und 21. Dezember) etabliert. Vereinzelt wurde dabei der Versuch unternommen, die Wintersonnenwende und das Weihnachtsfest miteinander zu verknüpfen. Als Begründung wurde angeführt, dass das ‚Julfest‘ und die ‚Wintersonnenwende‘ bereits in grauer Vorzeit im hohen Norden entstanden seien.

Erst ab 1939 versuchte das Propagandaministerium nachhaltig Einfluss auf das weihnachtliche Familienfest in seinem Sinne zu nehmen. Der Einfluss der Kirchen sollte konsequent bekämpft werden. Die Nationalsozialisten befürchteten, die christliche Botschaft von Weihnachten könnte sich nachhaltig auf die Moral der Deutschen und der Soldaten auswirken.

Man versuchte, den Ursprung aller Brauchtumsformen und christlichen Weihnachtbräuche auf angeblich ältere germanische Bräuche und Traditionen zurückzuführen. So wäre zum Beispiel die grüne Tanne im Haus mit dem Brauchtum der germanischen Vorfahren zu erklären. Übrigens eine Idee, die bereits aus der völkischen Bewegung des 19. Jahrhunderts stammt. Das Weihnachtsfest sollte nach dem Willen der Nationalsozialisten durch ein altgermanisches Julfest ersetzt werden. Was lag da näher, als passenden ‚arteigenen‘ Weihnachtsschmuck dafür zu kreieren.

Die Symbole auf den Jul-Kugeln wurden von der in Berlin ansässigen Forschungsgemeinschaft Volk und Arbeit[i] ausgewählt und bei thüringischen Glasbläserfamilien (in Lauscha[ii]) in Auftrag gegeben. Sie wollten damit das germanische Urwissen als etwas Lebendiges darstellen und die Kenntnis darüber wieder in der Volksgemeinschaft verankern.

Die Symbole auf den Kugeln sind: Jahresrad, Radkreuz, Sonne, Herz mit Lebensbaum, Ygdrasil (Weltesche), Linde, Schild, Hausbaum (altes Hausgiebelzeichen), Apfelbaum, Frühlingsrune, Odals-Rune, Weißes Ross, Hirsch, Hirschgeweih, Schwan, Lebens-Rune (auch Mensch-Rune genannt).

Manche Christbaumschmuck-Sammler und -Sammlerinnen vermuten, dass die Jul-Kugeln bereits zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft hergestellt worden seien. Dies ist jedoch falsch. Die Jul-Kugeln wurden erstmals kurz vor dem Weihnachtsfest 1940 produziert, also zu einem Zeitpunkt, als die nationalsozialistische Propaganda bereits seit einem Jahr den Boden dafür bereitet hatte. Die thüringische Gauzeitung brachte am 18. Dezember 1940 einen bebilderten Artikel, der den neuen Jul-Christbaumschmuck der Öffentlichkeit vorstellte. Der späte Zeitpunkt der Präsentation lässt vermuten, dass die Produktion im Dezember 1940 noch gering war. Ein Indiz dafür ist, dass viele bekannte Nationalsozialisten den „Julschmuck für die deutsche Weihnacht“ erst im Januar 1941 als Geschenke ausgehändigt bekamen. So unter anderem der Reichsführer-SS Heinrich Himmler, der die Kugeln im Januar 1941 als Geschenk erhielt.[iii] Die SS-Zeitung Schwarzes Korps machte daraufhin 1941 in einem Artikel Werbung für den Jul-Schmuck.

Die Jul-Kugeln wurden zu Propagandazwecken auch in den besetzten nordischen Ländern vertrieben, weil man die Idee hatte, dort mithilfe der vergleichenden Volkskunde ein „wirklich tiefes Verständnis für die [nationalsozialistische] Weltanschauung Blut und Boden zu erreichen“.

Vertrieben wurden die Jul-Kugeln unter dem Namen „Vokalit-Julschmuck“ von der in Hannover und Berlin ansässigen Firma Waldmann & Hahn, deren eigentliche Produktionsschwerpunkt laut Eintrag im Adressbuch der Stadt Hannover ‚Glasplakate‘ waren.

Es gab die Jul-Kugeln in drei verschiedenen Kartongrößen mit sechs, zwölf oder 24 Kugeln. Es gab versilberte, bemalte und vereinzelt Farbglaskugeln.

Bereits nach knapp 2 1/2 Jahren wurde am 15. April 1943 die weitere Produktion der Glaskugeln aufgrund kriegswirtschaftlicher Erwägungen von der Reichsstelle Glas-, Keramik-, Holzverarbeitung verboten.

Auf privaten, wie militärischen zeitgenössischen Fotos von Weihnachtsbäumen der Zeit spielen die Jul-Kugeln kaum eine Rolle. Von ganz vereinzelten Belegen abgesehen ist dieser ‚artgerechte‘ Baumschmuck auf Fotos nicht existent. Die Gründe hierfür können durchaus vielschichtig sein. Ein Grund könnte sein, dass die deutsche Bevölkerung nicht gewillt war, ihren traditionell familiär geprägten Christbaumschmuck durch „germanisch sinnhaften Baumschmuck“, der einen Zusammenhang mit dem Mythos im Weltbild der Ahnen zeigen sollte, zu ersetzen. Ein zweiter Grund könnte in der Kriegszeit liegen. Zukunftsängste, seien sie persönlicher, wirtschaftlicher, militärischer oder politischer Natur bestimmten den Alltag der Menschen. Geld für neue Kugeln ausgeben, die zudem noch eine politische Konnotation hatten, wollten vermutlich nur Wenige. Nach der Wende in den 1990er-Jahren tauchten in Lauscha immer wieder vollständige Jul-Kugel-Kartons auf. Dies lässt die Vermutung aufkommen, dass die Glasbläser mehr Exemplare hergestellt hatten, als nachgefragt wurden.

Eine kleine Anmerkung zum Schluss: Heutzutage tauchen bei Ebay neu hergestellte Exemplare der Jul-Kugeln auf, die mitunter in unredlicher Weise als „alter Christbaumschmuck“ angeboten werden. Im Gegensatz zu den Originalen sind diese neue Stücke schwerer und die Versilberung stumpfer.

[i] Die korrekte Bezeichnung lautete: Volk und Arbeit, Arbeitsbeschaffung für Betreuungs- und Grenzgebiete unter Aufsicht der Bezirksausgleichstelle für öffentliche Aufträge mit Sitz in Berlin in der Lutherstr. 21.

[ii] Schreiben der Forschungsgemeinschaft für germanisches Geisteserbe an den Berliner Regierungsrat Dr. Schön vom 13.6.1941.

[iii] Dankschreiben von Himmlers persönlichem Referenten Rudolf Brandt vom 13. Januar 1941.