Dresdner Pappe

- Herstellung

Produziert wurden die Dresdner Pappe und die anderen Christbaum-Verzierungen aus Karton und Pappe vornehmlich von Produzenten der Luxuskartonagen- und Cotillon-Industrie. Im Deutschen Reich waren hauptsächlich die Städte Dresden, Leipzig und Berlin diesbezügliche Produktionszentren. Die Firmen siedelten sich bewusst in Städten und nicht auf dem Land an. Dafür gab es zwei wichtige Gründe: Erstens der Produktionsstandort lag beim Konsumort[i]. Vornehmlich in Städten wurden viele Bälle, Karnevals- und sonstige Feierlichkeiten veranstaltet. Zweitens war die bessere Verkehrsanbindung durch die Eisenbahn entscheidend, die für den innerdeutschen Vertrieb bis hin zum weltweiten Export eine wichtige Rolle spielte.

Die Firmen produzierten aus Papier, Karton und Pappe eine Vielzahl von Attrappen, Bonbonnieren, Christbaumdekorationen, Cotillon-Orden, Dosen, Fächern, Fantasiekostümen, Gegenständen für Cotillon-Touren, Karnevalsartikeln, Knallbonbons, Lampions, Masken, Spielzeugen oder Requisiten für Theater-Aufführungen und Festzüge. Die Hersteller kombinierten mitunter ihre Erzeugnisse noch geschickt mit anderen Stoffen, wie Gewebe, Metall, Glas, Naturfasern, Farben und Lacke, je nachdem, was der jeweilige Geschmack der Zeit gerade verlangte.

Material

Wenden wir uns zunächst einmal der Bezeichnung Dresdner Pappe zu. Ist der Begriff richtig oder müsste es nicht eigentlich genauer ‚Dresdner Karton‘ heißen? Der Unterschied zwischen Karton und Pappe liegt im Gewicht pro m², aber die Grenzen hierbei sind durchaus fließend. Alles unter 150 g/m² wird als Papier bezeichnet. Bei einem Gewicht ab 150 g/m² bis zu 500 g/m² spricht man von Karton. In dem Gewichtsbereich zwischen 500 und 600 g/m² kann man von Karton wie auch von Pappe sprechen. Alles ab 600 g/m² wird ausschließlich als Pappe bezeichnet. Das Gewicht des Ausgangsmaterials für die Dresdner Pappe Stücke dürfte im Bereich zwischen 150 und 600 g/m² liegen. Das bedeutet, dass man, weil man das genaue Ursprungsgewicht des Herstellungsmaterials nicht kennt, bei den Dresdner Pappe Stücken sowohl von Karton als auch von Pappe sprechen kann. Da sich die Bezeichnung Dresdner Pappe eingebürgert hat, wollen wir dabei bleiben.

Die zwei Dresdner Pappe Objekte, welche in Köln untersucht wurden.

Die Materialstärke der Stücke liegt im Durchschnitt zwischen 0,30 und 0,95 Millimeter. Eine von mir in Auftrag gegebene Untersuchung zweier Dresdner Pappe Objekte durch Frau Kerstin Johanna Merz vom Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaften der Fakultät für Kulturwissenschaften der Technischen Hochschule Köln ergab, dass die damals verwendete Pappe beziehungsweise der Karton aus einem Fasergemisch, in dem Holzschliff, Halbzellstoff- und Zellstofffasern enthalten sind, bestand.

Durch die weitere Untersuchung konnte festgestellt werden, dass die Pappe durch das Zusammenpressen verschiedener feuchter Papierbahnen (ohne zusätzliche Verleimung) hergestellt wurde. Das Zusammenpressen der feuchten Papierbahnen ohne Verwendung von Leim führte dazu, dass sich die verschiedenen Schichten der Papierbahnen weniger stark miteinander verbanden. Unter dem Mikroskop wird dies deutlich. Bei den untersuchten Dresdner Pappe Stücken zeigte sich, dass sich das Material im Laufe der Zeit in geringem Maße auffächern kann.

Prägeverfahren

Die Herstellung der dreidimensionalen Objekte erfolgte im Prägeverfahren. Hierfür brauchte man einen zweiteiligen Prägestempel. Wollte man einen Stempel herstellen, benötigte man zunächst eine glattgeschliffene Metallplatte. In diese wurde zunächst das gewünschte Motiv oder die Form negativ und seitenverkehrt eingraviert. Die Gravur war filigranste Handarbeit und wurde nur von einer kleinen Gruppe von Spezialisten beherrscht. Dieser so gefertigte erste Teil des Prägestempels nennt man Matrize. Der zweite Teil, die Gegendruckform, in der das gewünschte Motiv oder die Form seitenrichtig eingraviert war, wurde Patrize genannt. Die aus Metall produzierten Stempel eigneten sich für qualitativ hohe Ansprüche und waren sehr haltbar. Für ein Objekt, dass Vorder- und Rückseite hat, brauchte man also vier Prägestempel.

Beispiel eines größeren Prägestempels (Länge 25 cm) für eine Lyra.
Beispiel eines größeren Prägestempels (Länge 25 cm) für eine Lyra.

Das Prägen selbst geschah, indem man zwischen die beiden Teile des erwärmten Prägestempels angefeuchtete Papierbahnen oder Karton legte. Die Feuchtigkeit und die Wärme waren wichtige Gesichtspunkte beim Herstellungsprozess. Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass beim Prägedruck das verwendete Material gedehnt wird, was eine Verschiebung der Faserlage im Papier bedeutet. Durch die Befeuchtung konnte sich das Papier beim Druck gut an die Matrize schmiegen und somit den beim Herstellungsprozess auftretenden Kräften standhalten. War das Material dann wieder getrocknet, zeigte sich ein scharfer und beständiger Prägedruck. Die, wie im Falle der Dresdner Pappe, so geprägten Halbschalen von Gegenständen oder Tieren aus Karton wurden bei dem Herstellungsschritt durch den Stanzrahmen zudem ‚ausgeschlagen‘ oder beschnitten.

Prägedrucke mit trockenem Material erwiesen sich als nicht vorteilhaft. Zum einem musste ein höherer Druck aufgewendet werden, um eine Prägung zu erzielen, zum anderen bestand die Gefahr, dass das verwendete Material reißt. Hinzu kam noch, dass die anfänglich vorhandenen scharfen Reliefornamente nach kurzer Zeit wieder begannen, an Schärfe zu verlieren oder zu verflachen.

Oberflächen

Die Oberfläche der Dresdner Pappe Stücke ist farbig oder silber- beziehungsweise goldkaschiert. Bis heute ist man sich in Sammlerkreisen nicht ganz sicher, wie dieser Metallglanz auf den Karton kam. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf den Aufsatz von Frau Christina Nehrkorn-Stege: Vom Schmuck der Engel. Technologische Untersuchungen im Museum für Sächsische Volkskunst (2017)[ii] hinweisen. Sie ließ eine labortechnische Analyse von geprägten Schmuckborten aus Karton, die manchmal von Sammlern auch als Dresdner Pappe bezeichnet werden, vornehmen. Sie kam bei der Analyse zu dem Schluss, dass die Metallauflage bei den Formen auf dreierlei Arten möglich war. Erstens mit einer hauchdünnen Blattmetallauflage, zweitens mittels Bronzepulver und drittens durch das Auftragen galvanisch produzierter Metallschichten.

Wenden wir uns zuerst den Möglichkeiten eins und zwei zu. Beliebt war im 19. Jahrhundert das Bronzepulver (bestehend aus Kupfer und Zink) als Blattmetallersatz. Das Bronzepulver wurde fast ausschließlich mithilfe flüssiger oder pulverförmiger Grundiermittel aufgetragen und mit dem Heißdruck-Verfahren verarbeitet. Wurde zunächst Bronze verwendet, so ging man im Laufe der Zeit auf Blattgold über. Grund hierfür war unter anderem, dass der Bronzedruck fast immer einen trüberen, wenig glänzenden Metallton zeigte, wohingegen das Blattgold mit vollem, reinen Metallglanz wirkte. Der Begriff ‚Blattgold‘ ist etwas irritierend. Mit Blattgold wurden damals sämtliche zum Druck oder Prägen verwendeten goldfarbigen Blattmetalle bezeichnet. Völlig reines Gold wurde nie verwendet, sondern es waren immer unechte Legierungen. Das ‚Gold‘ enthielt stets andere Metalle, häufig Kupfer, Zink und Silber. Je nach Verhältnis der Beimischung konnte der Farbton angepasst werden. Bei den häufiger vorkommenden silberkaschierten Dresdner Pappe Stücken wurde ebenfalls nie echtes Blattsilber benützt, da es zu unbeständig war und leicht oxidieren konnte. Zweckmäßiger waren Zinkfolien oder Blatt-Aluminium, welche das Silber vollständig ersetzten. Der große Vorteil hierbei war, dass sie nicht anliefen und den Silberton beibehielten[iii]. Die beste Metallglanzwirkung erzielte man mit geheizten Pressen[iv]. Bei dem Verfahren wurde der zu prägende Karton mit einem geeigneten Bindemittel bestrichen oder gepudert, dann wurde das ausgewählte Metall aufgetragen. Durch den Druck der erhitzten Platten wurde das Bindemittel zum Schmelzen und die gold- bzw. silberfarbigen Auflagen zum Haften gebracht. Da der Vorgang unter kräftigem Druck erfolgte, wurde das Metall, während es am geschmolzenen Bindemittel festklebte, gleichzeitig poliert. Die Reinheit und der Glanz des Metalls hingen dabei wesentlich von der Wahl des Bindemittels, der Stärke des Druckes und der richtigen Wärme der Prägeplatten ab[v].

Die dritte Art, eine Metallglanzwirkung zu erzielen, bestand aus den galvanisch produzierten Metallpapieren. Hierbei wurde mithilfe von Strom aus einer Metalllösung (damals meist Nickel) das Metall in dünner Schicht auf die polierte Seite einer Messingplatte aufgetragen. Auf diese Schicht wurde dann ein mit einem Kleber versehenes Blatt aufgelegt. Nach der Trocknung wurde das mit dem Metallüberzug fest verbundene Papier von der Messingplatte abgelöst. Das so gewonnene Metallpapier entsprach in seinem Glanze ganz genau dem Glanz der Messingplatte. Je nachdem, ob diese Messingplatte hoch-, mittel- oder mattglänzend vorbereitet wurde, nahm das Papier auch den jeweiligen Glanzgrad an[vi]. Auch diese Art des Papiers war dann bereit, geprägt zu werden.

Bei den silber- und goldkaschierten Dresdner Pappe Stücken zeigte es sich, dass die Oberflächen keine Unebenheiten haben, wie es bei einem nachträglichen Auftragungsprozess der Fall gewesen wäre. Das bedeutet also, dass die gewünschte Metallauflage bereits vor dem Prägeprozess auf dem Karton beziehungsweise der Pappe aufgebracht war. Für die Hersteller der Dresdner Pappe wäre eine eigene Herstellung von solchen sogenannten Metallpapieren vermutlich zu aufwendig gewesen. Sie ließen sich hierfür die notwendigen Metallpapiere liefern. Es gab hierfür spezielle Firmen, wie zum Beispiel die Nürnberger Gold- und Silberpapierfabrik Max Buchstein oder M. Brünn & Co., beide im bayerischen Fürth, die solche vorgefertigten Papiere im Programm hatten. Das bayerische Fürth war Ende des 19. Jahrhunderts das Zentrum dieser Industrie. Hier existierten zwischen 1850 und 1950 rund 150 Firmen, die verschiedenste Papierarten in Form von Gold-, Silber- und anderen Metallimitaten herstellten.

Kleben

Waren nun, wie beschrieben, die gewünschten Halbschalen geprägt und ausgeschlagen, mussten diese am Schluss noch zusammengefügt werden. Verbunden wurden die beiden Teile, nicht wie damals durchaus üblich mit Gelatine, sondern entweder mithilfe eines gelatinebasierten Klebstoffs oder durch ein Klebstoffgemisch, das Gelatine enthielt. Dies ergab die Untersuchung der Technischen Hochschule Köln. Zwar besaßen viele der Firmen hauseigene ‚Klebeabteilungen‘, in denen sie ihre Produkte in der Regel von Fabrikarbeiterinnen zusammenkleben lassen konnten, aber inwieweit dies bei den Exponaten der Dresdner Pappe der Fall war, lässt sich heute leider nicht mehr sagen. Denkbar wäre zum Beispiel, dass die Hersteller vornehmlich die einfacheren silber- und goldkaschierten Stücke hausintern in ihren eigenen Klebeabteilungen zusammensetzen ließen.

Hingegen dürften wohl die zeit- und kostenintensiveren Arbeiten, wie das Anbringen von Zaumzeug bei den Pferden und der Zusammenbau von Kutschen, Schiffen etc., aus Kostengründen von den preiswerteren Heimarbeitern und Heimarbeiterinnen erledigt worden sein. Die diesbezüglichen damaligen Zentren der hauptberuflichen Heimarbeit waren unter anderem in Dresden und Berlin.

Die beiden Stücke setzten sich aus mehreren Teilen zusammen.

Hinsichtlich der farbigen Dresdner Pappe Stücke bleibt noch anzumerken, dass eine einfache Bemalung von vielen bewerkstelligt werden konnte, für die anspruchsvollen mehrfarbigen Exponate wurden jedoch auf diesem Gebiet erfahrene Kräfte bevorzugt.

Beispiel von zwei bemalten Dresdner Pappe Objekten.

[i] Weissenfels, Karl: Die Standorte der Papierverarbeitenden Industrie Deutschlands. Dissertation Universität Köln 1931, S. 34 f.

[ii] Nehrkorn-Stege, Christina: Vom Schmuck der Engel. Technologische Untersuchungen im Museum für Sächsische Volkskunst, in: Staatliche Kunstsammlungen Dresden (Hrsg.): Engel. Dresdner Kunstblätter 4/2017, S. 46–55. Siehe dazu auch: Andés, Louis Edgar: Papier-Specialitäten. Praktische Anleitung zur Herstellung von den verschiedensten Zwecken dienenden Papierfabrikaten. Wien, Pest, Leipzig 1896; Andés, Louis Edgar: Blattmetalle, Bronzen und Metallpapiere, deren Herstellung und Anwendung, Wien, Pest, Leipzig 1902.

[iii] Rockstroh & Schneider Nachf. A.-G. Dresden-Heidenau: Anleitung zur Herstellung von Faltschachteln und Cartonnagen zum Präge-, Blattgold- und Papiermosaikdruck, Dresden 1903, S. 46 ff.

[iv] Andés, Louis Edgar: Blattmetalle, Bronzen und Metallpapiere, deren Herstellung und Anwendung, Wien, Pest, Leipzig 1902, S. 147.

[v] Rockstroh & Schneider Nachf. A.-G. Dresden-Heidenau: Anleitung zur Herstellung von Faltschachteln und Cartonnagen zum Präge-, Blattgold- und Papiermosaikdruck, Dresden 1903, S. 55.

[vi] Kühnemann, Fritz; Felisch, B.; Goldberger, L. M. (herausgegeben vom Arbeitsausschuss): Berlin und seine Arbeit. Amtlicher Bericht der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896, Berlin 1898, S. 697.