Dresdner Pappe

- Geschichte

Um die Hintergründe, die zur Entstehung der Dresdner Pappe führten, besser nachvollziehen zu können, muss zuerst ein kurzer Blick in die Geschichte der deutschen Papierindustrie des 19. Jahrhunderts geworfen werden. Produkte aus Papier erlebten damals einen bis dahin noch nie dagewesenen Boom, weshalb selbst Zeitgenossen davon sprachen, sie würden in einem ‚papiernen Zeitalter‘ leben.[i] Aus unserer heutigen Sicht mag solche eine Aussage etwas verwundern, Papier gab es schon lange, wieso sollte man also von einem ‚papiernen Zeitalter‘ sprechen? Was heute nur noch Wenige wissen: Damals hatte das Papier wirklich einen regelrechten Siegeszug angetreten.

Papierindustrie

Auslöser hierfür war unter anderem um 1800 die Erfindung einer Papiermaschine, die endlose Papierrollen herstellen konnte. In Deutschland brauchte es noch einige Jahre, bis um 1820 eine diesbezügliche kleine papierverarbeitende Industrie entstand. Es sollte noch weitere Jahre brauchen, bis das Papier im großen Stil verarbeitet werden konnte. Gab es 1840 in Deutschland gerade einmal zwölf Maschinen für die Papierfabrikation, so wuchs die Zahl bis zum Jahr 1870 auf rund 300 an. Den größten Aufschwung nahm die Papierverarbeitung nach der Reichsgründung (1871), als die deutsche Wirtschaft florierte. Vor allem in den 1880er- und 1890er-Jahren wuchs die Papierverarbeitung nochmals an.[ii] Papier, Karton und Pappe dienten nicht mehr nur dazu, das geschriebene oder gedruckte Wort festzuhalten, sondern es wurde an Stellen eingesetzt, die uns heute befremdlich erscheinen. In dem Bereich der Hartpapierwaren wurden beispielweise Eisenbahnräder, ganze Eisenbahnwagen, Gasleitungen, Schuhsohlen, Sekretäre, Uhrengehäuse[iii], Vorhänge, Walzen in Satinierwerken oder Zylinder aus gehärteten Papier hergestellt. Auch Dinge des täglichen Lebens wurden aus speziell verarbeitetem Papier produziert. Wer wollte, konnte Bettwäsche, Brotkörbe, Eimer, Hemdkragen, Konservendosen, Möbel, Regenschirme, Schüsseln, Tabakdosen, Teetassen, Teller, Weinkühler, Zuckerdosen und vieles mehr aus gehärtetem Papiermaterial kaufen.[iv] Es war dafür so verarbeitet, dass es schwer brennbar, unzerbrechlich und trotzdem leicht zu verwenden war. Der größte Vorteil von diesen Stücken war jedoch – sie waren billig.

Luxuspapierindustrie

Die erhöhte Papierfabrikation und die Vielseitigkeit des Materials ließen eine ganze Reihe an spezialisierten Papierindustrien entstehen. Dazu gehörte zum Beispiel die sogenannte Luxuspapierindustrie. Zu den Erzeugnissen dieser Sparte zählten neben der Dresdner Pappe farbig dekorierte Aufstellkarten, Ausschneide- und Briefbögen, Cotillon-Gegenstände, Etiketten, Fächer, Gratulationskarten, Lampenschirme, Laternen, Menükarten, Oblaten, Papierblumen, Papiertheater, Patenbriefe, Reklamebilder, Servietten, Spiele- und Spielfiguren für Kinder oder Tanzkarten, um nur einige Produkte zu nennen. Anhand der Beispiele wird deutlich, auch wenn alle die genannten Dinge unter dem Begriff Luxuspapier subsumiert wurden, dass es keine klare Grenzziehung gab, was alles unter Luxuspapier zu verstehen war. Erst wenn man damalige technische Kriterien betrachtet, wie Luxuspapier produziert wurde, wird eine Eingrenzung möglich. In Fachzeitschriften, wie zum Beispiel in der Papier-Zeitung, wurden hierzu vier technische Voraussetzungen beschrieben:

                                                                                           Farbendruck, Prägung, Stanzung und Montierung

Dabei mussten aber nicht alle Kriterien gleichzeitig erfüllt sein. Im Falle der Dresdner Pappe Objekte wurden meist nur drei Punkte erfüllt: Die Stücke waren geprägt, ausgestanzt und montiert.

Die Luxuspapierindustrie fächerte sich in weitere Zweige auf. Dazu gehörten unter anderem die Papierdekorations-, die Karnevalsartikel- und die Kartonagenindustrie (wobei ich bei der letztgenannten nicht die klassische Versandverpackungsindustrie meine, sondern diejenige, die Attrappen, Bonbonnieren oder kuriose Geschenkverpackungen herstellte). Jede der drei genannten Industrien hatten anfänglich lokale Produktionsschwerpunkte. Die Papierdekorationsindustrie war ursprünglich beheimatet in Dresden, die Karnevalsartikelindustrie im Thüringer Wald[v] und die Kartonagenindustrie unter anderem in Berlin, Lahr, Leipzig und im sächsischen Buchholz.[vi]

Sucht man nun nach dem Ursprung der Dresdner Pappe, so muss man einen Blick auf die Dresdner Papierdekorationsindustrie werfen. Dresden, als deren anfängliches Zentrum, war die Stadt, in der alles Mögliche hergestellt wurde, was man zur Unterhaltung von privaten wie öffentlichen Feierlichkeiten, Tanzbällen oder sonstigen Veranstaltungen brauchte. Von Saal- und Tischdekorationen über Attrappen und Knallbonbons bis hin zu den zahlreichen Gegenständen für die beliebten Cotillon-Touren wurde hier alles hergestellt. Die Produzenten würde man heutzutage vermutlich als ‚Partyausstatter‘ bezeichnen.

Die meisten Objekte, die als Festartikel Verwendung fanden, mussten preisgünstig sein, da sie meist nur einmal benützt wurden. Der Großteil wurde daher aus Papier, Karton oder Pappe gefertigt. Um ihre Produktpalette immer mehr zu erweitern, kreierten die Hersteller im Laufe der Zeit spezielle Objekte für Ostern und Weihnachten. Allerdings war die Produktion solcher Stücke – auf die Jahresproduktion gesehen – nur ein kleines saisonales Nebengeschäft. So entstand in Dresden erstmals dieser besondere Christbaumschmuck aus Pappe, der von deutschsprachigen Sammlern heute mit dem Oberbegriff ‚Dresdner Pappe‘ oder im englischsprachigen Raum mit ‚Dresdens‘ oder ‚Dresden ornaments‘ bezeichnet wird.

Attrappen aus Frankreich

Um noch näher auf die Entstehungsgeschichte der Dresdner Pappe einzugehen, müssen wir zunächst einen Blick auf die Attrappen- und Fantasie-Kartonagen werfen, die im frühen 19. Jahrhundert in der Gesellschaft sehr beliebt waren. Die Form dieser fantasievollen Verpackungen war keine deutsche Erfindung, sondern die führenden Hersteller waren seit Mitte des 18. Jahrhunderts in Frankreich und hier in erster Linie in Paris ansässig.

Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde es in der gehobenen deutschen Gesellschaft, wie bereits zuvor in Frankreich, Mode, Attrappen und elegante Fantasie-Kartonagen aus französischer Produktion als spezielle Geschenkverpackung an die Familie, Freunde oder Bekannte zu verschenken. In einer Werbung eines auf solche Produkte spezialisierten Leipziger Händlers heißt es im Jahr 1818, dass er „Attrapen [sic!] und andere für Weihnachten passende Gegenstände“ im Angebot habe.[vii] Solche Attrappen und Kartonagen konnten, je nach Wunsch der Käufer, mit Parfüm, Seifen, Konfekt oder feinsten Konditorwaren gefüllt werden.[viii]

Sie fragen sich jetzt vielleicht, was Attrappen und Fantasie-Kartonagen mit Dresdner Pappe zu tun haben? Die Antwort ist einfach: Vieles, was wir heute als Dresdner Pappe bezeichnen, ist in Wahrheit ursprünglich als Attrappe oder Fantasie-Kartonage verkauft worden. Ein Zitat aus einer Zeitung aus dem Jahr 1864 verdeutlicht dies:

Alle diesen schönen Blumen-Blüthen, Figürchen, Häuschen, Tempelchen, Schmuckkästchen, Geldbörsen u.s.w. u.s.w. die denkfeinsten französischen Cartonagen, daß einem rein das Herz lacht und der Mund wässert bei dem Gedanken, [daß] alle diese schönen Sachen die das Auge so blenden [auch noch] obendrein durch und durch voll Süssigkeiten[ix] sind.

Der Autor der Zeilen riet seinen Lesern noch, dass man mit diesen schönen Attrappen und Fantasie-Kartonagen einen Christbaum „ganz herrlich und stattlich dekorieren“ könne. Hier hat man einen frühen Beleg, dass solche Art von Kartonagen als Christbaumverzierung Verwendung fand.

Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verlor Frankreich langsam seine vorherrschende Marktposition bei der Herstellung der Attrappen und Fantasie-Kartonagen. Deutschen Produzenten gelang es in den folgenden Jahrzehnten, ihre französischen Konkurrenten abzuhängen und mit eigenen diesbezüglichen Erzeugnissen selbst den Weltmarkt zu erobern.[x]

Attrappen aus Deutschland – Beginn der Dresdner Pappe

Vermutlich einer der ersten deutschen Produzenten, der feine Attrappen und Fantasie-Kartonagen speziell für den Christbaum anfertigte, war Carl Wenzel aus Dresden. Wenzel war von Beruf Buchbinder. Dies ist kein Zufall, denn Buchbinder waren die Berufsgruppe, in deren Tätigkeitsbereich die Herstellung von Luxus- und Fantasie-Kartonagen fiel. Ein Beleg für Wenzels Pionierleistung auf dem Gebiet wird auch dadurch deutlich, dass er in dem bis jetzt frühesten bekannten schriftlichen Beleg aus dem Jahr 1874 namentlich Erwähnung fand. In einem Artikel der Familienzeitschrift Die Gartenlaube heißt es:

Was nur die kühnste Phantasie zu erdenken vermochte, ist hier in Farbe und papierner Gestalt schon verkörpert worden, besonders aber hat sich Karl Wenzel in Dresden nicht nur die Herzen der Kinderwelt durch seine gelungenen Papphelme und Rüstungen, sowie seine prächtigen Christbaumverzierungen und Ostereier alljährlich auf’s Neue erobert; er hat auch im Bereiche der Balldecorationen, durch die prächtigsten Orden und Cotillonstouren, zu denen er immer noch Neues hinzuschafft, die ausgebreitete Verwendbarkeit des Papier auf’s Schlagendste nachgewiesen.“[xi]

Laut Dresdner Adressbuch produzierte Wenzel solche Artikel ungefähr ab 1860. Seit wann in der Firma Christbaumschmuck aus Pappe produziert wurde, konnte bis jetzt nicht geklärt werden. Eine zweite frühe Quelle, die ebenfalls Dresden als Produktionsort für diese Art des speziellen Christbaumschmuckes erwähnt, findet sich in dem von Hugo Elm im Jahr 1878 veröffentlichten Werk Das goldene Weihnachtsbuch. Der Autor war vermutlich einer der Ersten, der den Christenbaumschmuck aus Pappe als ‚Dresdner Christbaumverzierungen‘ bezeichnete. In seinem Buch gibt es ein mit der Überschrift: Ordnung und Vertheilung des Schmuckes versehenes Kapitel. Darin heißt es wörtlich:

Steht der Baum in der Mitte der Stube, so nimmt sich folgendes Arrangement auch recht hübsch aus. Man knüpft sich aus kleinen Tannenzweigen sogenannte ‚leichte Guirlanden‘. Dieselben sind einzeln aneinander gebundene kleine Tannenzweige, nicht zu verwechseln mit den starken buschigen wirklichen Guirlanden, wie sie bei festlichen Dekorationen angewendet werden. Diese leichten Guirlanden werden nun mit dem einen Ende an einem Haken, der in der Mitte der Stubendecke angebracht ist, befestigt und nach den vier Ecken der Stubendecke gezogen, wo die anderen Enden an dort angebrachten kleinen Stiften festgehangen werden. Ebenso können solche verbundenen Tannen= oder Fichtenzweige vom Mittelpunkt der Decke aus nach den Mitten der vier Wände geleitet werden. In der Mitte der Guirlanden, da, wo sie sich im Mittelpunkt der Decke vereinigen, hängt man einen Christengel auf, während die Guirlanden, kleine Papiergegenstände wie Goldsterne, Ballons oder ‚Dresdner Christbaumverzierungen‘ (Beutel, Füllhörner, Anker, Käfer, Stiefel, Hirsch-, Pferde-, Hundeköpfe, Vogelbauer und dergl.) erhalten.“[xii]

Elms Begriff ‚Dresdner Christbaumverzierungen‘ setzte sich jedoch nicht durch. Im Gegenteil, die damaligen Produzenten und Großhändler boten ihre dreidimensionalen Erzeugnisse, die wir heute unter dem Begriff der Dresdner Pappe subsumieren, in den folgenden Jahren unter den unterschiedlichsten Bezeichnungen wie: ‚Christbaum-Cartonnagen‘, ‚dauernder, unzerbrechlicher Christbaumschmuck‘, ‚moderner Christbaumbehang‘, ‚hochfeine Christbaum-Behänge‘ oder ‚Karton-Verzierungen‘, an. Manch ein Wiederverkäufer bezeichnete sie auch als Spielzeug für Kinder. Sie galten aufgrund ihres Materials schlechthin als billige Verkaufsartikel.

Dresdner Pappe Hersteller

Die bis jetzt anhand von Katalogen mit Sicherheit identifizierten Dresdner Pappe Hersteller waren: Carl Wenzel (Dresden), Gelbke & Benedictus (Dresden), H. Gottschald & Co. (Dresden), E. Neumann & Co. (Dresden) und N. L. Chrestensen (Erfurt). Sie alle stellten Cotillon-, Ball- und Karnevalsartikel her. Ich erwähne hier bewusst nur die Hersteller und nicht die bekannten Wiederverkäufer wie zum Beispiel Carl W. Pichler (Wien) oder Ed. Witte (Wien).

Preisliste Nr. 6 (1888/89)

Hinsichtlich des Christbaumschmucks aus Dresdner Pappe dürften vermutlich die Firmen Gelbke & Benedictus und E. Neumann & Co. führend gewesen sein. Vor allem von Neumann & Co. wurden zahlreiche der in Sammlerkreisen bekannten Tierdarstellungen produziert. Kunden konnten sie in Kartons zu sechs, zehn, zwölf oder sogar 50 Stück gemischt kaufen.[xiii]

Viele der geprägten Fische wurden hingegen vermutlich von Gelbke & Benedictus produziert. Sie wurden in ihren Katalogen allerdings als Attrappen und nicht als Christbaumschmuck angepriesen.

Galt der Dresdner Pappe Christbaumschmuck aufgrund seines Materials auch als relativ günstiger Verkaufsartikel, so ist dennoch gleichzeitig erstaunlich, dass die Hersteller von Anfang an Wert darauflegten, optisch sehr ansprechende Stücke zu produzieren. Bereits bei den vor 1878 auf dem Markt existenten verschiedenen Tierköpfen (wie zum Beispiel bei den dreidimensionalen Hirsch-, Hunde- oder Pferdeköpfen) sieht man eine sehr detailgetreue Fertigung.

Normalerweise käme man in Versuchung, die weniger detailgetreuen Dresdner Pappe Stücke als ältere Stücke zu klassifizieren. Frei nach dem Motto, früher konnten sie es noch nicht so gut, aber im Laufe der Zeit hat sich die Fertigung immer mehr verfeinert. Es dürfte aber genau andersherum gewesen sein, wenn man einen Blick in die alten Kataloge wirft. 

Ich bin daher der Meinung, dass man die Dresdner Pappe Stücke zeitlich so einteilen kann: Je feiner, dreidimensionaler und detaillierter die Ausführungen sind, umso älter sind die Stücke. Jedoch keine Regel ohne Ausnahme. Der in Dresden von H. Gottschald 1885 hergestellte Christbaumschmuck ist wohl von Anfang an etwas einfacher in seiner Ausführung gewesen.

Im Katalog der Wiener Firma Carl W. Pichler wurden 1893 vier Dresdner Pappe Köpfe und weitere Attrappen angeboten.

Dresdner Pappe Angebot der Firma Gottschald & Co. (Saison 1885/86)
Aus der Preisliste 100 von Neumann & Co., Dresden

Die dreidimensionalen Ausführungen, die immer auch bedeuteten, dass die Stücke von Hand zusammengesetzt werden mussten, wurden durch einfachere halbplastische Varianten, die meist nur aus zwei weniger ausgeprägten Halbschalen bestanden, ergänzt. Diese Varianten, die ohne großen Aufwand zusammengeklebt werden konnten, entweder in der Fabrik oder in der Heimindustrie, bedeuteten automatisch eine Reduktion der Herstellungskosten.

Der Verkaufserfolg der in Dresden hergestellten Produkte ließ wohl einige weitere Produzenten im In- und Ausland auf die Idee kommen, ähnliche Stücke auf den Markt zu bringen. So gab es in Österreich (so unter anderem in der damals zu Österreich gehörenden Stadt Budweis) den Hersteller Fürth und in anderen deutschen Städten (unter anderem in Berlin, Erfurt und Leipzig) immer wieder Versuche, mit ähnlichen Stücken Kunden zu begeistern.

Dresdner Pappe Stücke gab es in gold- und silberkaschierter sowie in bemalter Ausführung. Die plastisch geprägten gold- und silberkaschierten Stücke sollten beim Betrachter den Eindruck erwecken, dass sie aus Metallblech gefertigt seien. Papier diente damit als Surrogat, als günstiger Ersatzstoff, für das teurere Metall. Dabei fällt auf, dass die silbergeprägten Dresdner Pappe Exponate gegenüber den goldgeprägten Stücken zahlen- und motivmäßig dominieren. Warum den silbernen Objekten der Vorzug gegeben wurde, ist heute unbekannt. Möglicherweise lag es daran, dass um 1890 die ‚weiße Welle‘ (Christbaumschmuck aus Silber am Weihnachtsbaum) in Mode kam.

Weiterentwicklung der Dresdner Pappe Motive

Seit den Anfängen der Dresdner Pappe Produktion wuchs im Laufe der Zeit die Zahl der gefertigten Motive. Das lässt sich unter anderem an den verschiedenen Tierdarstellungen belegen. Gab es um das Jahr 1878 Ausführungen einheimischer Tierarten wie Käfer, Hirsch-, Pferde- oder Hundeköpfe zu kaufen, so wurde die Produktpalette immer mehr erweitert und exotische Arten wie Elefant, Flamingo, Giraffe, Känguru, Nashorn, Papagei, Vogel Strauß oder Zebra kamen hinzu. Möglicherweise spielten die seit den 1880er-Jahren ‚erworbenen‘ deutschen Kolonien in Afrika dabei eine Rolle. Nachweislich hatte die Dresdner Firma Neumann & Co. im Jahre 1889 das Zebra und den Papageienkopf (zum Befüllen) im Programm ihres Dresdner Pappe Christbaumschmucks.[xiv] Die Tierwelt am Baum, die nicht mit dem Weihnachtsbaum in Beziehung stand, rief schon damals Kritiker auf den Plan. Sie sahen darin eine Geschmacksverirrung, weil die Stücke in keinerlei Beziehung zum Weihnachtsfest stehen würden.[xv]

Weihnachtliche Motive

Auf die kaum vorhandenen weihnachtlichen Motive der Dresdner Pappe Stücke wird in Sammlerkreisen immer wieder hingewiesen. Es gibt zwar den halbplastisch geprägten Nikolaus mit Kindern und den ebenfalls halbplastisch geprägten Engel oder das Christkind mit Weihnachtsbaum als Motive, aber diese Stücke stammen sicherlich nicht aus der Anfangszeit der Dresdner Pappe. Die flacher geprägten Stücke wurden vermutlich eher in der Zeit nach 1900 gefertigt. Leider sind die Produzenten der beiden Stücke bis jetzt unbekannt.

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Eine kleine Randbemerkung sei an dieser Stelle noch im Hinblick auf die Dresdner Pappe Figur des Christkinds mit Weihnachtsbäumchen erlaubt. Die allgemeine Darstellung des Christkinds variierte und variiert sehr stark, weil es keine genaue Beschreibung gibt, wie das Christkind auszusehen hat. Mal ist es das Kind in der Krippe (meist im kirchlichen Kontext), mal ein weiblicher Engel und manchmal ein engelhaftes Mädchen. Seit dem späten 19. Jahrhundert wurde dem weiblichen Engel in Illustrationen und auf Familienfotos immer wieder der Weihnachtsmann zur Seite gestellt. Der Weihnachtsmann ist hierbei für den strafenden Teil bei der Bescherung zuständig, das Christkind hingegen hat die Rolle des sanften und gütigen Wesens.

11 Bild Engel mit Weihnachtsb. silber
Neben der Figur des Christkinds gibt es im Umfeld der Dresdner Pappe auch Varianten vollplastischer Engeln mit Flügeln. Man könnte diese Figuren als Christkinder nach kirchlicher Vorstellung auffassen, aber für mich verkörpern sie viel mehr die klassischen pausbäckigen Putti (was man mit Knäblein übersetzen könnte).

Putten, das mag nun manchen überraschen, haben ihren Ursprung bereits in der Antike und stehen unter anderem für Jugendlichkeit. Die männlichen Putten wurden sogar als Liebesgötter betrachtet. Sie sind keine Engel und stehen daher in keinem Zusammenhang mit Weihnachten, auch wenn man dies heute etwas anders sieht. Würde man strenge Maßstäbe anlegen, müsste man eigentlich sagen, dass die Putten nicht zur Dresdner Pappe gehören, da ihr Herstellungsmaterial wesentlich schwerer ist als das der normalen Dresdner Pappe. Sie sind daher ein gutes Beispiel dafür, wie schwierig es ist, eine Grenze zwischen Dresdner Pappe und sonstigen Dekorationen aus Pappe zu ziehen.

Pappverzierungen für Särge

Einen eindeutig anderen Zweck als Verzierungen für den Weihnachtsbaum hatten die Engelsköpfe mit den Flügeln aus Dresdner Pappe. Sie sind meistens als Halbschalen zu finden und nur wenige sind doppelseitig. Schon am Gewicht der Stücke kann man merken, dass sie nicht aus dem feinen Karton gemacht wurden wie die anderen Dresdner Pappe Stücke. Das ist auch nicht verwunderlich, wenn man weiß, dass diese Köpfe als Pappverzierungen für Särge hergestellt wurden. Unter anderem hatten drei Firmen diese Köpfe in verschiedenen Varianten im Programm. Das waren die im sächsischen Buchholz beheimateten Prägefirmen A. Kunze & Co., Heinrich O. Brauer und Ernst Schreiber aus Iserlohn. Brauer fertigte beispielsweise solche Engelsköpfe bis mindestens 1937.

Die linke Illustration stammt aus dem Papp-Sargbeschläge-Katalog der Firma Kunze aus Buchholz. Die rechte Abbildung stammt ebenfalls aus einem Papp-Sargbeschläge-Katalog, konnte aber keinem Hersteller eindeutig zugeordnet werden.

Dresdner Pappe mit christlicher Symbolik

Bei anderen Dresdner Pappe Exponaten gibt es einige Stücke, denen man, wenn schon nicht weihnachtlichen, so dennoch einen religiösen Hintergrund zuschreiben kann. Allerdings ist dieses Wissen darum schon lange in Vergessenheit geraten und nur diejenigen, die mit christlicher Symbolik vertraut sind, können deren Bedeutung entschlüsseln. Für all diejenigen, die sich in dieser Thematik nicht auskennen, möchte ich ein paar Beispiele nennen:

Adler: Der Adler ist das Symbol der Himmelfahrt Christi.
Eidechse: Sie ist Auferstehungssymbol, weil sie sich häutet und Widerstandskräfte hat. Gleichzeitig ist sie ein Lichtsymbol und auf Darstellungen dem Evangelisten Johannes manchmal beigegeben.
Esel: Ein Tier voll friedlicher Gesinnung und der Esel war ein Reittier Christi. Zudem ist er stets auf Krippenbildern zu finden.
Fisch: Er ist ein Symbol Christi, weil der Fisch im Wasser, dem Element der Taufe, lebt.
Hahn: Der Hahn kündigt den Aufgang der Sonne an und ist ein Sinnbild für das Licht Christi und seiner Auferstehun..
Hase: Der Hase war in der mittelalterlichen Kunst stets ein Gottessymbol.
Hirsch: Der Hirsch ist stets ein Symbol Christi, ein Sinnbild der Erlösung und der Taufgnade.
Krebs: Der Krebs ist ein Symbol der Auferstehung.
Löwe: Der Löwe ist ein Symbol Christi. Nach dem heiligen Hieronymus ist der Löwe das Sinnbild der Auferstehung Christi, das Symbol des siegreichen Tages über die Finsternis. Der brüllende Löwe ist daher ein Sinnbild der Auferweckung der Toten durch Christus.
Muscheln: Die Perlenmuschel ist ein Symbol von Maria, denn die Mutter Maria birgt die ‚köstliche Perle‘.
Ochse: Ochse und Esel finden sich von alters her auf jedem Krippenbild, obgleich in der Weihnachtsgeschichte von ihnen gar keine Rede ist.
Papagei: Symbol der Jungfräulichkeit und oft auf Bildern von Maria beigegeben.
Pfau: Das Rad des Pfaus mit seinen Pfauenaugen soll an den gestirnten Himmel erinnern. Da der Pfau im Frühjahr seine Federn verliert und neue bekommt, symbolisierte er in der altchristlichen Kunst Unsterblichkeit, Auferstehung und das Paradies.
Schiff: Das Schiff ist ein altes Sinnbild für die Kirche. In einem Adventslied aus der Zeit um 1600 hieß es: „Es kommt ein Schiff, geladen bis an sein höchsten Bord, trägt Gottes Sohn voll Gnaden, des Vaters ewges Wort. – Das Schiff geht still im Triebe, es trägt ein teure Last; das Segel ist die Liebe, der Heilig Geist der Mast“.
Schildkröte: Sie ist ein kosmisches Symbol, das Himmel und Erde miteinander verbindet.
Schmetterling: Er ist ebenfalls ein Sinnbild für die Auferstehung.
Schwalbe: Sie heißt schon im Altertum ‚Lichtvogel‘. Sie wurde zum Christus- und Auferstehungssymbol.
Schwan: Er ist ein Sinnbild Christi und seiner Todesnot.
Stier: Der Stier ist das Attribut des Evangelisten Lukas.
Storch: Mit seiner Rückkehr aus dem Winterquartier ist der Storch ein Bote des Frühlings. Nach Jeremia 8.7 steht er zudem als Sinnbild für den gerechten Wandel, da er zur rechten Zeit heimkehrt.
Taube: Sie ist in der christlichen Kunst das Symbol für den heiligen Geist.
Vögel: Nach Matthäus 6.26 stehen sie generell für die Güte Gottes. Nach Psalm 124,7 wird die Seele mit einem Vogel in Verbindung gebracht. Ein Baum voller singender Vögel wurde auch als Sinnbild für das Paradies betrachtet.

Bei diesem Dresdner Pappe Stück hat man zum Beispiel drei christliche Symbole auf einem Fleck: Schwan, Muschel und Perle.

Fairerweise muss man anmerken, dass nicht sicher ist, ob die religiöse Symbolik der Stücke von den Herstellern überhaupt beabsichtigt war. Möglicherweise wollten die Produzenten auch nur ein buntes Potpourri aus der Tierwelt und der Schifffahrt präsentieren.

Technische Darstellungen

Nicht wirklich weihnachtlich sind auch die Kutschen und technischen Motive der Dresdner Pappe. Bei den verschiedenen Kutschen und Lastkarren fällt auf, dass die Stücke eigentlich zu groß und empfindlich sind, um sie an den Weihnachtsbaum zu hängen. Die meisten Sammler stellen die fragilen Stücke daher unter den Baum oder in Vitrinen. Ich habe von einem kenntnisreichen Sammler den Hinweis bekommen, dass man die Prunkkutschen möglicherweise als Erinnerungsstücke oder schlicht als ‚Nippes‘ im Dresdner Marstall Ende des 19. Jahrhunderts kaufen konnte. Meine Nachfragen bei den verschiedenen Dresdner Museen und Archiven brachten hierzu allerdings kein Ergebnis. Die Antwort war sinngemäß, dass das gut möglich gewesen sein kann, aber wenn es hierzu Belege gegeben haben sollte, diese aufgrund der großflächigen Zerstörung von Dresden während des Zweiten Weltkrieges vernichtet worden seien. Die Frage nach einem möglichen Dresdner Ursprung der verschiedenen Prunkkutschen und Schlitten muss daher unbeantwortet bleiben. Allerdings bot der Wiener Händler Eduard Witte die beiden Prunkkutschen in seinem 1911 erschienenen Katalog als ‚Staatskarosse‘ und als ‚Galawagen mit Pferden, Kutscher und Diener‘ an. Dies lässt die Dresdner Nippes-Variante eher unwahrscheinlich erscheinen.

Die anderen verschiedenen einfacheren Einspänner und Lastkarren waren mit Sicherheit großteils nicht als Christbaumverzierungen, sondern als Tischdekorationen oder Attrappen gedacht. Explizit bot im Jahr 1892 die Firma Gelbke & Benedictus einen Leiter-, Fass-, Kutsch-, Plan- und Eisenbahnwagen sowie eine Karre und ein (Kutschen-)Kabriolett als ‚Miniatur-Attrappe‘ seinen Käufern an. Die bekannten Segelboote sortierten Gelbke & Benedictus in ihren Katalogen ebenfalls unter der Rubrik ‚Attrappen‘ ein. Man könnte nun daraus schlussfolgern, dass, wenn schon die kleinen Einspänner und Lastkarren als Attrappen verkauft wurden, auch die verschiedenen größeren Prunkkutschen und Schlitten als solche gedacht waren.

Neuerungen oder technische Erfindungen wurden von den Dresdner Pappe Produzenten gerne als neue Motive aufgenommen. Das lässt sich an mehreren Stücken belegen. Betrachten wir einmal die kleine Dampflokomotive. Sie ist vermutlich eine etwas freiere Darstellung der Schnellzuglokomotive 1-A-1 N2 der königlich sächsischen Staatseisenbahn, die von August Borsig (1804–1854) konstruiert wurde.

Ein weiteres Beispiel, wie die Kreativen bei den Motiven der Dresdner Pappe technische Neuerungen oder wichtige technische Erfindungen als Vorlage nahmen, um daraus neue Modelle zu kreieren, ist das Hochrad, das um 1870 auf den Markt kam.

Für die Übernahme technischer Objekte als Dresdner Pappe Motiv steht auch der bekannte Raddampfer. Sein vermutlich reales Vorbild verrichtete seinen Passagierdienst in Dresden. Seit 1836 gab es in der Landeshauptstadt eine sächsische Dampfschifffahrts-Gesellschaft mit verschiedenen Dampfschiffen.

Der Blick der Produzenten reichte aber weit über Dresden hinaus, wie die großen Dampfschiffe veranschaulichen. Im Repertoire der Dresdner Pappe gab es unter anderem das Passagierschiff Deutschland, das 1900 vom Stapel lief. Der Stapellauf fand unter einem großen Medienecho statt. Die Deutschland gewann als zweiter deutscher Dampfer das ‚Blaue Band‘. Damit wurde jeweils das Passagierschiff ausgezeichnet, dass die Transatlantik-Route Europa nach New York am schnellsten schaffte.

Als zweiter großer Dampfer im Dresdner Pappe Fundus gibt es ein nicht näher bezeichnetes japanisches Panzerschiff, das im Winterkatalog der Wiener Firma Witte[xvi] aus dem Jahr 1911/1912 beworben wurde. Bei Witte war das Stück das teuerste zu kaufende Dresdner Pappe Modell und soll als Bonbonniere geeignet gewesen sein.

Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts wurden die Träume der Menschen wahr und Zeppeline wie Flugzeuge hoben erstmals in den Himmel ab. Die Menschen waren von dieser technischen Neuerung begeistert. Bei den Dresdner Pappe Produzenten konnte man schon kurz nach Erfindung des modernen Luftfahrtwesens erste Luftschiffe und Flugzeugmodelle kaufen. Zeppelin-Modelle waren, seit Ferdinand Graf von Zeppelin mit seinem LZ 1 am 2. Juli 1900 abgehoben hatte, als Motive bei Cotillon-Touren oder als Christbaumbehänge aus Glas sehr beliebt. So ist es nicht verwunderlich, dass die Dresdner Pappe Produzenten ebenfalls Varianten davon herstellten.

Das Gleiche geschah, als die ersten Flugzeuge die Lüfte eroberten. So war es vermutlich die Dresdner Firma Neumann & Co., die Flugzeugdarstellungen in ihre Produktpalette aufnahm. Neumann war bekannt für seine Sortiment-Kartons, in denen verschiedene Dresdner Pappe Gegenstände und Tiere verkauft wurden. Im Jahr 1911 kam eine neue, als „moderner Christbaumbehang“ angepriesene Zusammenstellung auf den Markt. Es war wiederum ein Karton, der nun statt Tieren sechs Luftfahrzeuge enthielt (vier Flugzeuge, ein Zeppelin und ein Ballon).

Abbildung aus dem Katalog der Firma J. C. Schmidt Erfurt

Zu sehen sind die Stücke unter anderem in den Winterkatalogen 1911/1912 der Firmen J. C. Schmidt in Erfurt und der Wiener Firma Eduard Witte. Während Schmidt das Sortiment im Ganzen im Karton seinen Kunden anbot, verkaufte Witte die gleichen Stücke einzeln. Fehlte bei J. C. Schmidt eine genauere Bezeichnung der Flugzeuge, so wurden zwei der Flugzeuge im Witte Katalog namentlich mit ‚Aeroplan Voisin‘ und ‚Aeroplan Blériot‘ bezeichnet. Allerdings dürfte es sich bei dem vermeintlichen ‚Aeroplan Voisin‘, der im Luftfahrt-Sortiment-Karton in einer größeren und einer kleineren Ausführung vorlag, viel eher um das Modell des ‚Flyers‘ der Gebrüder Wright gehandelt haben. Die Frontflügel des Dresdner Pappe Modells entsprechen dem ‚Flyer‘ und nicht dem des ‚Voisin‘.

Es gibt nicht wenige Sammler und Sammlerinnen, die das Flugzeug aufgrund seiner ungewöhnlichen Form verkehrt herum aufhängen.

Neben den beiden verschieden großen Modellen des ‚Flyers‘ waren in dem Luftfahrt-Sortiment-Katalog noch zwei weitere Flugzeugtypen enthalten. Das eine war die Blériot XI. Ihr Konstrukteur Louis Blériot hatte es zu Weltruhm geschafft, weil er am 25. Juli 1909 als erster Mensch in seiner Blériot XI über den Ärmelkanal geflogen war.

Das andere, und damit vierte Modell in dem Luftfahrt-Sortiment-Karton enthaltene Flugzeug, ist entweder die Antoinette IV oder VII gewesen. Mit beiden Flugzeugtypen wurde innerhalb eines Monats versucht, den Ärmelkanal zu überfliegen. Der Konstrukteur des Flugzeugtyps war Léon Levavasseur. Im Auftrag von Levavasseur bemühte sich der Pilot Hubert Latham, mit der Antoinette IV und VII den Ärmelkanal zu überqueren. Er scheiterte jedoch bei den Versuchen am 19. sowie am 27. Juli 1909. Der Pilot musste beide Male wegen eines Motordefekts notwassern. Trotzdem ließ sich Levavasseur euphorisch zu den Worten hinreißen: „Sie fährt, sie fliegt, sie schwimmt. Das ist ein Triumph.“

Dresdner Pappe als Knallkörper

Dresdner Pappe Objekte konnten nicht nur an den Weihnachtsbaum gehängt, sondern auch ganz anders verwendet werden. So wurden die frühen Tierköpfe als Attrappen (zum Befüllen) oder als Knallkörper angeboten. Manchmal wurde auch einfach auf einem Knallkörper ein Dresdner Pappe Tier als Dekoration hinzugefügt.

Hinsichtlich der Verbindung von Dresdner Pappe Objekten mit Knallkörpern ging die Berliner Firma Max Retemeyer, Spezialist für pyrotechnische Fabrikate, Karneval- und Scherzartikel, noch einen Schritt weiter. In einem von ihr um 1910 herausgegebenen Katalog lassen sich Beispiele von Dresdner Pappe Exponaten als Knallscherze finden.

Ähnliche Stücke boten auch die Pyrotechnische Fabrik Wilhelm Fischer aus Cleebronn in Württemberg und die Erfurter Firma J. C. Schmidt, Hersteller von Cotillon-, Ball- und Scherzartikel an.

Von Sammlern individuell zusammengesetzte Stücke (‚Hochzeiten‘)

Der Variantenreichtum, was man aus Dresdner Pappe Stücke im Laufe der Zeit alles machen konnte, ist damit noch nicht zu Ende. Man darf vor allem nicht vergessen, die von Sammlern angefertigten ‚Mariage‘ (Hochzeit) Stücke zu erwähnen. Unter ‚Hochzeiten‘ versteht man das Vereinigen von Exponaten, die ursprünglich nicht zusammengehört haben. Ein Beispiel dafür findet sich im Sammlungskatalog von Joseph G. Hrncirik Luxus aus Pappe. Dresdner Christbaumschmuck 1870–1914 (2011), S. 21 (Nr. 17). Das als Zirkuselefant mit Wagen bezeichnete Ensemble wurde aus zwei ursprünglich eigenständigen Stücken zusammengebaut. Der Wagen zum Beispiel entspricht einer rollenden Umkleidekabine, wie sie um 1900 in den Badeorten an der Ost- und Nordsee üblich waren. Ein Elefant hat solch einen Wagen nie gezogen.

Auch das oben gezeigte Flugzeug ‚Antoinette‘ ist eine ‚Mariage‘ (Hochzeit). Der kleine Pilotenoberkörper aus Zinn gehörte ursprünglich nicht dazu. Noch zwei weitere kleine Beispiele möchte ich zeigen. Zum einen die goldene Wanne mit dem Wachskind (ursprünglich ein separat zu kaufendes Christuskind aus Wachs für eine Krippe). Die Wanne wurde von der Wiener Firma Eduard Witte 1898 unter anderem als Bonbonniere angeboten. Dafür war das Wanneninnere mit einem Stoff als Beutel verkleidet. Das zweite Beispiel betrifft den römischen Streitwagen mit dem Brautpaar aus Wachs. Das Stück hat vermutlich einmal eine Hochzeitstorte geziert oder war bei einer Hochzeitsfeier als Tischdekoration gedacht gewesen.

Varianten

 

 

 

Neben den ‚Mariage-Varianten‘ gibt es noch andere kuriose Dresdner Pappe Exponate. Bewegen sich die Dresdner Pappe Stücke normalerweise in einer Größe zwischen ca. 8 und 14 cm, so gibt es Stücke, die davon abweichen. Der kleinste Elefant ist ca. 8 cm hoch, der größte Elefant mit der Howdah hat eine Höhe von rund 18 cm.

Die Dresdner Firma Neumann & Co. hatte sogar Panzerschiffe aus geprägter Pappe als Tisch-Attrappen im Programm, die je nach Wunsch des Kunden entweder 18 oder 32 cm lang waren.

Ebenfalls etwas aus dem Rahmen fallend sind Dresdner Pappe Stücke, die vermutlich von Anfang an beim Herstellungsprozess nicht ganz korrekt zusammengefügt wurden. Es sind jedoch keine Mariage-, sondern Original-Varianten von Dresdner Pappe Stücken. Beispielhaft sei hier das folgende Beispiel gezeigt: Das Segelschiff des Kaisers hatte eigentlich in der Original-Vorlage zwei Segelmasten. Bei der vorliegenden Fassung fehlt jedoch ein Mast. Wäre das Schiff so als reales Schiff gebaut worden, wäre es bei der ersten starken Böe wohl gleich gesunken. Es erweckt den Eindruck, als ob derjenige, welcher den Auftrag hatte, das Schiff zusammenzukleben, nicht mehr alle Materialien zur Verfügung hatte. Er verwendete ein zu großes Segel für die kaiserliche Segelyacht.

Bei einzelnen Tiermotiven hatten die Personen, die die Stücke zusammenklebten und bemalten, möglicherweise etwas Spielraum. Dies zeigt sich unter anderem bei den Augen. Es gibt manchmal gleiche Tiere, deren Augen entweder bemalt oder mit Glasaugen beklebt sind.

Dresdner Pappe für das Ausland

Die große Variationsvielfalt der Dresdner Pappe erfreute bald auch ausländische Kunden. Dafür sorgten schon die Produzenten, die wie zum Beispiel Gelbke & Benedictus ihre Cotillon-Kataloge in mehrere Sprachen übersetzen ließen und in alle Welt schickten. Selbst im zaristischen Russland fand die Dresdner Pappe begeisterte Käufer. Die Dresdner Pappe wurde dort als ausländische oder prächtige Pappe bezeichnet. Für den russischen Markt wurde vermutlich das Hausschwein mit den Geldsäcken auf dem Rücken gefertigt. Die Aufschrift auf den Säcken lautet jedenfalls ‚Rubel‘.

Sehr schnell entwickelte sich Amerika zum größten ausländischen Absatzmarkt. Für den amerikanischen Kundengeschmack wurden eigens Dresdner Pappe Objekte angepasst. Die Abbildung der folgenden drei Zwerge verdeutlicht dies auf zwei Arten. Zum einen ist der Aufdruck auf dem Sack in Dollar und zum anderen, das wird leicht übersehen, ist die Bemalung in den Nationalfarben der Vereinigten Staaten (rot-weiß-blau). Diese Farbkombination war auch bei den Spielzeugherstellern aus dem Sonneberger Raum in Thüringen üblich (zum Beispiel bei Weihnachtsmännern), wenn es um Exporte in die USA ging.

Durch ein im Jahr 1893 in den Vereinigten Staaten erlassenes Gesetz wurden die ausländischen Hersteller verpflichtet, ihre Exporte mit einem Hinweis auf das Ursprungsland zu versehen. Manchmal wurde dies einfach auf die Verpackungen gedruckt, aber eigentlich sollten die einzelnen Stücke selbst markiert sein.[xvii] So gibt es einzelne Dresdner Pappe Stücke die ‚Germany‘ als Stempel oder Prägung tragen. Durch die Prägung oder Stempelung kann man den Herstellungszeitraum solcher Stücke auf die Zeit nach 1893 datieren.

Es folgen vier Beispiele: Jeweils auf der rechten Bildfolge kann man die Prägung oder den Stempel „Germany“ sehen.

Anhand der ausgewählten Beispiele sieht man, wie vielfältig Dresdner Pappe sein kann. Manche Sammlerin und mancher Sammler erweitern ihr Sammelspektrum noch mit Objekten, die streng genommen eigentlich keine Dresdner Pappe Stücke sind. Wir erinnern uns: Eine Voraussetzung der Dresdner Pappe Definition lautet ‚montiert‘, d. h. aus mindestens zwei Stücken zusammengesetzt (geklebt).

Vermeintliche Dresdner Pappe Objekte

Bekannte Beispiele solcher ‚Nicht-Dresdner-Pappe-Stücke‘ sind die verschiedenen (Halb-)Monde und Sonnen, die immer mal wieder in Form von Halbschalen auftauchen. So manches Stück davon hängt, vor den Blicken des Betrachters etwas kaschiert, im Weihnachtsbaum, weil geglaubt wird, von dem Exponat würde nur die zweite Hälfte fehlen. Das ist jedoch ein Irrtum. Bei diesen Stücken handelte es sich in Wahrheit um ehemalige Scherz- beziehungsweise Cotillon-Orden beispielsweise der Firma Kunze & Co. aus Buchholz. Der Mond und die Sonne wurden neben ihrer Funktion als Orden auch als Dekoration für Stirnbänder und Papp-Diademe benützt.

Alle diese Stücke gab es mit brauner, silberner oder goldener Rückseite
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Ähnlich dürfte es sich bei dem abgebildeten Katzenkopf verhalten. Es hat die klassische Größe für einen Cotillon-Orden, auch sind auf der Rückseite Spuren einer Befestigung zu sehen. Leider konnte ich bis jetzt noch kein Belegexemplar in einem alten Herstellerkatalog finden.

In eine ähnliche Kategorie fällt auch ein Vollmond, bei dem ebenfalls vermeintlich das Gegenstück fehlt. Die Besonderheit bei ihm ist, dass er weder Cotillon- noch Scherz-Orden war, was man schon anhand seiner Größe merkt. Dieser Mond war der obere Teil einer humoristischen Mütze. Vermutlich fanden es einige Träger solcher Hüte lustig, den oberen Part herauszutrennen und ihn separat, zum Beispiel für den Weihnachtsbaum, zu verwenden.

Neben den zweckentfremdeten Cotillon-Orden oder oberen Teilen von Mützen müssen auch noch kurz die aus Pappe geprägten Halbfabrikate genannt werden, die ebenfalls oftmals als Weihnachtsschmuck Verwendung fanden und finden. Ihr ursprünglicher Zweck war jedoch etwas anderes. Sie waren als Dekoration von Spielwaren gedacht gewesen. Ein Zentrum für die Herstellung solcher Objekte war das sächsische Buchholz.

Eine kleine Randbemerkung sei noch erlaubt. Manchmal werden auch aus Karton beziehungsweise Pappe gefertigte Möbel (die ihrer Funktion nach keine Attrappen oder Bonbonnieren sind) zur Dresdner Pappe hinzugezählt. Streng genommen sind dies aber nur Puppenmöbel, die damals aus Kostengründen ebenfalls aus Pappe beziehungsweise Karton gefertigt wurden.

Das Ende der Dresdner Pappe Produktion

Für die Hersteller des saisonalen Dresdner Pappe Christbaumschmucks brachte das letzte Viertel des 19. bis zum ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts einen ruhigen und stetigen Absatz. Wenn auch die Rohstoffpreise stiegen, was zu einer allgemeinen Verteuerung der Lebenshaltungskosten führte, blieb die geschäftliche Lage dennoch zufriedenstellend. Doch der Beginn des Ersten Weltkrieges am 28. Juli 1914 änderte alles. Die Produktion wurde nach kurzer Zeit völlig stillgelegt, Aufträge wurden massenweise zurückgezogen und an Verkäufe ins Ausland war, von wenigen Ländern wie zum Beispiel Österreich und Ungarn einmal abgesehen, nicht mehr zu denken. Zahlreiche erfahrene Arbeitskräfte wurden zum Militär einberufen. Die Frauen wurden zur Arbeit in kriegswichtigen Industrien verpflichtet. Die Fabrikanten waren wiederum gezwungen, ihre Produktion der Kriegszeit anzupassen, wenn sie geschäftlich nicht in Konkurs gehen wollten. Für die Produzenten von Festartikeln mit ihren speziellen Produkten war dies allerdings schwer. Die meisten lukrativen Arbeiten für den Heeresbedarf waren schon in anderen Händen. Erst nach einiger Zeit bekamen sie unter anderem Aufträge für die Herstellung von Papiersäcken, Pappgranaten, Schuhsohlen aus Pappe und anderen Dingen. Die Produktion der nicht mehr nachgefragten Dresdner Pappe wurde schnell eingestellt.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, was aus all den existenten Prägeformen für die dreidimensionalen Dresdner Pappe Stücke geworden ist. Mir ist bis jetzt niemand bekannt, der eine alte Form schon einmal in den Händen hielt. Es gibt zwar noch zahlreiche alte Formen für Schriftzüge, geprägte Bordüren oder flachgeprägte Objekte[xviii], aber die aufwendig hergestellten Prägeformen wie für die dreidimensionalen Tiere sind verschwunden. Es kann natürlich sein, dass solche Prägeformen im Ersten Weltkrieg eingeschmolzen wurden, weil sie nicht mehr in Gebrauch waren und das Militär Metall brauchte. Leider ist die Frage bis jetzt nicht zu beantworten. Sollte es jemanden geben, der eine Form – oder wenigstens ein Bild davon – hat, würde ich mich sehr über einen Hinweis freuen!

Da in Kriegszeiten keine Dresdner Pappe mehr hergestellt wurde, möchte ich an dieser Stelle noch eine kleine Anmerkung machen zu einer Abbildung in dem von Frau Wiltrud Elbert verfassten und herausgegebenen Buch Kostbarkeiten aus Karton. Dresdner Christbaumschmuck 1870–1920. Auf S. 132 findet sich die Abbildung eines Panzers (Abb. 396) aus Karton. Es handelt sich hier vermutlich um die etwas frei interpretierte verkleinerte Nachbildung des britischen (männlichen)[xix] Panzers Mark V. Dieser Panzertyp wurde erst gegen Ende des Ersten Weltkrieges eingesetzt und war bis zu Beginn der 1930er-Jahre im Einsatz. Drei Gründe sprechen dagegen, dass es sich um ein Produkt der Dresdner Pappe Hersteller handelt. Erstens der späte Zeitpunkt, da hier keine Produktion mehr stattfand, zweitens wäre ein ‚feindlicher‘ Panzer nie von den damals patriotisch gesinnten deutschen Produzenten gefertigt worden und drittens war zu Beginn der 1920er-Jahre, unter dem verheerenden Eindruck des Ersten Weltkrieges, in der deutschen Spielwarenindustrie eine Diskussion ausgebrochen, ob man überhaupt noch Panzer als Spielzeug anfertigen solle. Der Panzer ist entweder eine gelungene Eigenproduktion oder stammt aus dem Ausland.

Das Ende des Ersten Weltkrieges 1918 brachte große soziale Veränderungen mit sich. Die Monarchie wurde abgeschafft und die Weimarer Demokratie ausgerufen. Hinzu kamen die Nachwirkungen des Krieges, Lebensmittelknappheit, eine gescheiterte Revolution und schwierige wirtschaftliche Verhältnisse. Die Firmen, die den Dresdner Pappe Christbaumschmuck hergestellt hatten, waren vor dem Krieg in der Hauptsache Produzenten für Fest- und Karnevalsdekorationen jeglicher Art gewesen. Für sie war es nach dem Krieg besonders schwer. Bälle gab es kaum und der Karneval durfte auf Anweisung der Behörden bis 1925 öffentlich nicht gefeiert werden. Hinzu kam, dass sich der Geschmack der Käufer geändert hatte. Die jahrzehntelang beliebten Miniatur-Attrappen aus Pappe wurden als altmodisch angesehen. Ohne größere Nachfrage lohnte sich aber eine Produktion nicht mehr. Die Dresdner Pappe war Geschichte.

[i] Apianus: Aus unserem papiernen Zeitalter, in: Die Gartenlaube, Jg. 1874, No. 45, S. 730–734; [ohne Verfasser]: Haushaltsgegenstände aus Papier, in: Dies Blatt gehört der Hausfrau! Zeitschrift für die Angelegenheiten des Haushaltes. IV. Jg. (1889/90), Nr. 1 (5. Oktober 1889), S. 5 f.

[ii] Weissenfels, Karl: Die Standorte der papierverarbeitenden Industrie Deutschlands. Dissertation Uni Köln, Kaldenkirchen 1931, S. 13 f.

[iii] Bereits im Jahr 1850 bot die Firma Mörder aus Leipzig ein ca. 60 cm hohes Uhrengehäuse bestehend aus 2.000 geprägten Pappe-Stücken an. Vgl. Illustrierte Zeitung, Leipzig (8. Juni 1850), S. 360.

[iv] Siehe dazu: Mährisches Tagblatt, 1. Jg. (1880), Nr. 102 (13. Oktober).

[v] Eilers, Gerhard: Die Thüringer Karnevalartikel-Industrie als Typus hausindustrieller Betriebsform. Dissertation, Leipzig 1928.

[vi] In Lahr wurden anfänglich hauptsächlich Kartonagen für den Pharmaziebereich produziert. In Berlin war ein Zentrum für fantasievolle Kartonagen für Süßwaren und in Buchholz wurden fantasievolle Geschenk- und Schokoladenverpackungen hergestellt.

[vii] Leipziger Zeitung No. 242, Mittwoch den 9. Dezember 1818, S. 2816.

[viii] Leipziger Zeitung No. 298, Dienstag den 19. Dezember 1826, S. 3503.

[ix] Oedenburger Lokal-Blatt. Organ für Wissenschaft u. Kunst, geistige Anregung u. Erholung, Lebens= u. Geschäftsverkehr, Auskünfte und Anzeigen, IV. Jg. (1864), Nr. 102 (21. Dezember), S. 418.

[x] Die Firma Georg Adler im sächsischen Buchholz gehörte dazu. Sie begann bereits Anfang der 1850er-Jahre mit der Produktion von Fantasie-Kartonagen, die den beliebten französischen Produktionen in nichts nachstanden. Vgl. dazu: Zur Erinnerung an die Jubelfeier des fünfzigjährigen Bestehens der Firma Georg Adler zu Buchholz am 24. März 1896, S. 7; Vgl. auch: Illustrierte Zeitung, Leipzig (1855), XXV. Bd., No. 648 (1. December), S. 368 f.

[xi] Apianus: Aus unserem papiernen Zeitalter, in: Die Gartenlaube, Jg. 1874, No. 45, S. 732. [Unterstreichung durch Verfasser.]

[xii] Elm, Hugo: Das goldene Weihnachts=Buch. Beschreibung und Darstellung des Ursprungs, der Feier, Sitten, der Gebräuche, Sagen und des Aberglaubens der Weihnachtszeit und gleichzeitig Anleitung zur sinnigen Schmückung des Christbaumes, der Pyramide, sowie zur Anlegung der Krippen und Weihnachtsgärten, Halle [1878], S. 65. [Fettdruck durch Verfasser.]

[xiii] So laut dem Angebot der Dresdner Firma Neumann & Co. Preisliste 100 aus dem Jahr 1912.

[xiv] Neumann & Co. Dresden: Preis-Liste Nr. 6, Winter-Saison 1888/89. Preis-Liste über Cotillon- und Carneval-Artikel der Fabrik E. Neumann & Co. Dresden [1888]. Das Zebra und der Papageienkopf sind abgebildet auf der Tafel nach S. 108.

[xv] Wie der Weihnachtsbaum sein soll!, in: Fürs Haus. Praktisches Wochenblatt für alle Hausfrauen, Nr. 324 (15. Dezember 1888), VII. Jg. (1888/89), S. 81.

[xvi] Winterkatalog Eduard Witte Wien 1911/12.

[xvii] Erst 1923 wurde die gesetzliche Vorlage so verändert, dass es von nun an reichte, das Herstellungsland auf die Verpackung zu drucken.

[xviii] Ich möchte hier auf ein Video bei YouTube hinweisen, bei dem noch alte Prägeformen verwendet werden. https://www.youtube.com/watch?v=hLsnRfZn0xo

[xix] ‚Männlich‘ deshalb, weil er an der Seite Geschützrohre hatte. Es gab auch eine ‚weibliche‘ Variante mit Maschinengewehren an der Seite.