Cotillon

- Orden

Um die Geschichte und die Verwendung der Cotillon-Orden im damaligen gesellschaftlichen Leben besser verstehen zu können, sei zunächst ein kleiner Rückblick in die Gepflogenheiten bei Tanzbällen in der Zeit zwischen 1850 und 1914 erlaubt.

Ballspenden

Kleine Geschenke an die Teilnehmer einer Tanzveranstaltung zu überreichen, war seit ungefähr Mitte des 19. Jahrhunderts Tradition. Dazu gehörten vor allem die Ball- oder genauer gesagt die ‚Damenspenden‘ die an die weiblichen Gäste verteilt wurden. Mit diesen Geschenken wollten die Veranstalter ein bisschen Eigenwerbung, wie auch Werbung für die Bälle machen (meistens war auf den Ballspenden von den Veranstaltern deren Name und die Bezeichnung des Balles vermerkt). Zudem hoffte man, durch die oftmals ungewöhnliche Form und Art der Geschenke einen nachhaltigen Eindruck bei den Ballbesuchern zu hinterlassen. Ballspenden konnten alles Mögliche in Miniaturform sein: zum Beispiel in Form von Büchern, Fächern, Reisekoffern, Rettungsringen, Täschchen, Staffeleien mit Porträts, Degen, militärische Mützen, Helme und vieles mehr. Beim Betreten des Ballsaales erhielten die Damen die Ballspenden gratis. Sie waren meist mit einem Haken oder einer anderen Befestigungsmöglichkeit versehen, um sie an den Kleidern anbringen zu können.

Links eine Ballspende einer studentischen Verbindung und rechts zwei Exemplare vermutlich verteilt auf militärischen oder offiziellen Bällen. 

Tanzordnungen

Die Ballspenden waren eine Ergänzung zu den sogenannten Tanzordnungen, die allen Ballbesuchern vor Beginn der Veranstaltung vom Organisator überreicht wurden. Darin war das Tanzprogramm des jeweiligen Balles, oftmals bestehend aus Walzer, Ländler, Marsch, Polka, Quadrille, Galopp und Cotillon aufgelistet. In die Tanzordnung trugen die Damen die Tänzer namentlich ein, die einen Tanz bei ihr ‚reserviert‘ hatten.

Beispiel einer Ballkarte mit den Namen der jeweiligen Tanzpartner

Cotillon

Höhepunkt eines Balls war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Cotillon mit seinen Cotillon-Touren. Der Cotillon konnte durchaus längere Zeit in Anspruch nehmen, damit möglichst alle Paare, die wollten, daran teilnehmen konnten. Die in dem Rahmen stattfindende Verleihung von Cotillon-Orden kam vermutlich Mitte des 19. Jahrhunderts auf (mir ist eine Werbung aus dem Jahr 1847 bekannt, in der Cotillon-Orden angeboten wurden) und war dabei oft ein Bestandteil der Inszenierung einer Cotillon-Tour.

Die Cotillon-Orden waren im Prinzip Scherzorden. Wer sie für Veranstaltungen brauchte, konnte sie in billiger, mittlerer, besserer, feiner oder hochfeiner Ausführung zu einem Dutzend oder im Gros (144 Exemplare), einheitlich oder bunt gemischt, in Geschäften kaufen oder direkt bei den Herstellern bestellen.

Eine kleine Auswahl verschiedenster Cotillon-Orden

Varianten der Orden

Die einfachen Ausführungen der Orden bestanden nur aus geprägter Pappe. Sie konnten silbern, golden oder farbig sein. Die besseren Varianten hatten als Grundlage ebenfalls Pappe, aber je nach Preisklasse waren sie mit verschiedensten Materialien wie Chenille, Gelatine, Glasperlen, Karton, Krepp, Metall, Pappe, Stoff, Wachsperlen, aufgeklebten Oblaten oder anderen Materialien verziert. Feine Orden aus Krepp, genauso wie die Krepp-Brilliant-Orden waren meist den Damen vorbehalten.[i] Die meisten Orden waren reine Fantasie- oder Scherzorden, aber es gab auch detailgetreue Nachbildungen von echten Militär- und Staatsorden. Passend zu den Orden boten die Hersteller dazugehörige Halsketten, Schleifen oder Stoffbänder zur Befestigung an.

Beispiele der von der Firma Chrestensen 1880/81 angebotenen Cotillon-Orden

Bei Tanzbällen beliebt waren Orden mit Aufschriften wie ‚Für flottes Tanzen‘ oder ‚Dem besten Tänzer‘.

Je nach Anlass des Festes konnten die Orden im Motiv das Motto der Veranstaltung oder das der dazugehörigen Cotillon-Tour widerspiegeln. Beispielhaft soll hier die von der Erfurter Firma Chrestensen 1888 angebotene Stallmeister Tour mit den dazugehörigen Orden genannt werden.

Beispiele von Cotillon-Orden für die Stallmeister Tour oder anderen reiterlichen Themen

Die auf dem oberen rechten Cotillon-Orden abgebildete Jockey-Mütze gab es auch in Normalgröße. Sie war unter anderem bei den damaligen Kostümfesten sehr beliebt, wie zahlreiche Fotos der Zeit belegen.

Wie beliebt der Gebrauch von Cotillon-Orden war, erkennt man daran, dass die Wiener Firma Eduard Witte, eine der größten österreichischen Wiederverkäufer für Cotillon-Gegenstände, damit warb, ständig eine Million Exemplare davon auf Lager zu haben.[ii]

Orden im Rahmen der Cotillon-Touren

Orden wurden, wie vorher bereits erwähnt, bei Cotillon-Touren eingesetzt. Die Orden hatten dabei die Funktion, Tanzpaare zufällig zusammenzubringen. Wie das funktionierte, lässt sich beispielsweise an der folgenden Anweisung für eine Ordens-Tour ersehen:

Der Tanzvorstand läßt an die Paare Orden und Schleifen verteilen, bittet die Herren solche anzustecken und in einer Frontreihe dicht nebeneinander anzutreten; nun suchen die Damen mit der Schleife in der Hand nach dem Orden, der das gleiche Relief trägt; hat eine Dame den richtigen Herrn gefunden, so kommandiert sie rechtsum, faßt ihn unter und stellt sich mit an. Wenn alle Paare vereint, wird rundgetanzt.“[iii]

Die große Vielfalt an den unterschiedlichsten Cotillon-Orden setzte letztendlich den Veranstaltern keine Grenzen. Es war jedem selbst überlassen, welche Orden er wie einsetzte.

Ein beliebter Tänzer konnte viele Cotillon-Orden von seinen Tanzpartnerinnen bekommen.
Darstellung aus dem Jahr 1896

Präsentation der Cotillon-Orden

Tanzveranstaltungen mit einer großen Teilnehmerzahl brachten für die Organisatoren unter anderem das Problem mit sich, dass man die vielen Orden und Schleifen ansprechend für die Gäste präsentieren wollte. Für diese Schwierigkeit hatten die Hersteller der Cotillon-Orden Lösungen parat. Man konnte bei ihnen dekorative Staffellagen (zum Beispiel in Form eines Elefanten) kaufen oder leihen. Auf solchen Dekorationen fanden zahlreiche Orden Platz.

Ein Elefant mit Howdah als Cotillon-Ständer von der Dresdner Firma Neumann & Co. Aus dem Jahr 1888

Die Verleihung der teilweise farbenfrohen und prächtigen Cotillon-Orden war ein wichtiger Bestandteil des Ballgeschehens. So manche Tänzerin oder mancher Tänzer bewahrte sie nach Ende des Balles auf, vielleicht weil damit ein besonderes gesellschaftliches Ereignis oder eine romantische Erinnerung verbunden war. So ist es nicht verwunderlich, dass manche der heute noch erhaltenen Cotillon-Orden mit handschriftlichen Anmerkungen, wie zum Beispiel dem Datum des Balls und Namen von Tanzpartnern, versehen sind.

Cotillon-Orden am Weihnachtsbaum

Die positiven Erinnerungen haben später den einen oder die andere dazu verleitet, den meist dekorativen ‚Orden‘ einen Platz am Weihnachtsbaum einzuräumen. Wie man mit Cotillon-Orden den Weihnachtsbaum schmücken konnte, darüber geben zwei Leserbriefe aus dem Jahr 1886 Auskunft, die in der Zeitschrift Fürs Haus erschienen waren. In der November-Ausgabe des Jahres 1886 hieß es:

Ich ziehe mit einer langen Papierkette, von der Baumspitze anfangend, Guirlanden rund um den Baum von Zweig zu Zweig. An die unter[e]n Ringe jedes Bogens hänge ich einen auf beiden Seiten glänzenden Kotillon-Orden und verteile zwischen den Kettenguirlanden silberne Nüsse, farbige Früchte, Konfekt, aus Glas gedrehte Eiszapfen, vergoldete kleine Äpfel (große sind zu schwer und verunzieren den Baum durch übermäßiges Herunterziehen der Aeste) und feine, aus mattfarbigem Seidenpapier hergestellte Netze, in welchem ich vergoldete hohle Walnüsse lege.“[iv]

In der Dezember-Ausgabe gab es den folgenden Dekorationsvorschlag:

Für 30 Pfennig kaufe ich die unter dem Namen Lametta bekannten, feinen, silberweißen Fäden. Aus den kurzen Lamettafäden drehe ich mit den Fingern Schnürchen (aus je 2-3 Fäden) von etwa 20 cm Länge und binde an diese […] kleine oder auch größere Kotillon-Orden […]“[v]

Manch Besitzerin oder Besitzer eines schön gestalteten Ordens machte daraus auch direkt ihren oder seinen eigenen Christbaumschmuck.

Cotillon-Orden wurden bis zum Ersten Weltkrieg von zahlreichen Firmen in großer Vielfalt produziert. Allein in Berlin gab es um 1870 acht Produzenten. Im deutschen Reich gab es noch zahlreiche weitere Fabrikanten. Eine davon war die 1872 gegründete Firma A. Kunze & Co. aus dem sächsischen Buchholz. Sie stellte neben Cotillon-Orden und Karneval-Artikeln auch flach- und hochgeprägte Papp-Sargverzierungen her. Viele der hochgeprägten Engelsköpfe, die heutzutage fälschlicherweise zur Dresdner Pappe gezählt werden, stammen aus ihrer Produktion.

Cotillon-Orden aus dem Musterbuch der Firma Kunze

Cotillon-Orden wurden aber nicht nur für Bälle oder als Christbaumschmuck verwendet. Die Firma Imanuel Richter aus dem sächsischen Sebnitz (gegründet 1837) verwendete Cotillon-Orden als Verzierungen für die von ihnen hergestellten Attrappen und Bonbonnieren. Teilweise wurden sie auch an Karneval von dem einen oder der anderen getragen.

Selbst während des 1. Weltkrieges wurden sie von den Soldaten an die Christbäume gehängt.

25.12.1917 Cotillon Orden aus Papier
Weihnachtsbaum im Felde 24. Dezember 1917

Cotillon-Orden nach 1918

Mit Beginn des Ersten Weltkrieges änderte sich dies jedoch dramatisch. Wurden in der ersten Kriegseuphorie noch Tanzveranstaltungen abgehalten, wurden es im Laufe der Zeit schnell immer weniger, bis es als nicht mehr schicklich galt, Bälle zu veranstalten. Das hinderte manche Händler mit vollen Lagern aber nicht daran, während des Krieges immer noch Werbung für Cotillon-Orden in Zeitschriften zu platzieren.

Nach 1918 war die gesellschaftliche Welt in Deutschland eine andere. Die Monarchie und der Adel waren abgeschafft. Deutschland musste eine versuchte Revolution überstehen, lag wirtschaftlich am Boden und hatte mit großen Hungersnöten zu kämpfen. An Tanzveranstaltungen war nicht zu denken. In den folgenden Jahren ging es wirtschaftlich zwar wieder langsam bergauf und auch Bälle wurden erneut gefeiert, aber der Geschmack hatte sich im Laufe der Zeit geändert. Cotillon-Orden wie ehemals bei den verschiedensten Cotillon-Touren benützt, galten nun als antiquiert.

Einen neuen Absatzmarkt fanden die wenigen verbliebenen Cotillon-Orden-Hersteller nach dem Ersten Weltkrieg bei Tanzschulen. Doch die Zahl der potenziellen Abnehmer war wesentlich kleiner als bei den Tanzveranstaltungen der vergangenen Jahrzehnte.[vi] Das schlug sich im Angebot der letzten Cotillon-Orden Hersteller nieder.

In einem Verkaufskatalog aus dem Jahr 1926 wurden nur diese Orden angeboten.
Abschlussball der Tanzschule W. Sander in Seesen im Jahr 1929

Aus erhalten gebliebenen Verkaufskatalogen aus der Zeit der Weimarer Republik und des Dritten Reiches kann man ersehen, dass noch bis zum Anfang der 1940er-Jahre vereinzelt ‚Kotillon-Orden‘ angeboten wurden. Aber sie waren ein ausgesprochenes Nischenobjekt bei den Festartikeln.  

Kotillon-Orden Angebot aus dem Jahr 1939

In der Zeit des Wirtschaftswunders nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Cotillon-Orden erneut offeriert. Sie hießen nun allerdings schlicht ‚Orden‘.

Angebot der Papierfabrik Suthor aus dem Jahr 1956

[i] Werbung der Wiener Firma Eduard Witte in: Mährisches Tagblatt, 8. Jg. (1887), Nr. 30 (8. Februar).

[ii] Werbung von Eduard Witte in: Bukowinaer Nachrichten, II. Jg. (1889), Nr. 138 (24. Februar), S. 6.

[iii] J. C. Schmidt: Preisbuch über Cotillon-Ball- und Scherzartikel, Saaldekorationen, Sommerfestartikel usw., Saison 1911/12, Erfurt 1911 (Reprint, Hildesheim, Zürich, New York 1999), S. 43.

[iv] (Leserbrief): Ketten; in: Fürs Haus. Praktisches Wochenblatt für alle Hausfrauen, Nr. 217 (27. November 1886), V. Jg. (1886/87), S. 66.

[v] (Leserbrief): Lametta; in: Fürs Haus. Praktisches Wochenblatt für alle Hausfrauen, Nr. 218 (4. Dezember 1886), V. Jg. (1886/87), S. 74.

[vi] In neutraler Form fanden sie auch bei von Tanzschulen veranstalteten Bällen Verwendung. Arno Gröber, Dresden: Fabrik von Cotillon-Artikeln und Papier-Laternen, Jubiläums-Preisliste No. 62 (1913/14), S. 72.